Allmachtsdackel
Donnerstagabend führte ich die neuen Stiefel zusammen mit gestreiften Strümpfen, kariertem Minirock, Paisleybluse und pelzbesetzter rosa Weste aus. Der Taube Spitz, in dem Sally kellnerte, lag im Bohnenviertel, wo sich im Schutz des Pulverturms zwischen Stadtautobahn, Ausfallstraße und Bordellen die Herren in Anzügen und die Boutiquentüten mit Verlagsleuten und Viertelesschlotzern trafen.
»Bist du unter die Papageien gegangen?«, fragte Sally pikiert. Ein Herr stierte ziemlich ungebremst über die Schulter seiner Gattin hinweg, deren Rückenfett sich unter einem hellblauen Pullover um den BH herumwellte. Vermutlich meinte er Sallys blonde Lockenpracht.
»Das trägt man jetzt in Berlin«, behauptete ich.
Sally stellte mir ein Pils auf den Tresen. »Wenn du möchtest, dann komme ich morgen mit zur Beerdigung.«
»Wenn du da hinwillst, wirst du alleine fahren müssen«, antwortete ich. »Und es wird sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig. All die verlogenen Reden! Martinus Weber war ein geachtetes und gefürchtetes Mitglied der Gemeinde und hat jeden mit seiner Engherzigkeit verfolgt. Aber keiner sagt es. Und damit auf keinen Fall ein schiefer Ton reinkommt, hat Martinus sogar seine eigene Grabrede geschrieben.«
»Echt?« Sally lachte und feudelte im Spülbecken herum. »Was schreibt er denn?«
»Keine Ahnung, er hat … Heilandsack!« Mir rutschte zügig das Blut in den Rock und meine Knie begannen zu eiern. Ich musste meinen Plisseefaltenhintern schleunigst auf den nächsten Barhocker schieben.
»Ist was?«
»Nein. Mir ist nur … egal. Richard würde auch gar nicht wollen, dass ich da auftauche!« Doch sobald Sally mit dem Tablett in den Gastraum abmarschiert war, tippte ich die 7 in mein Handy. Richards Mobilfunkanbieter ließ ihn entschuldigen. Ich klickte mich zur Handynummer von Staatsanwalt Kromppein weiter.
»Ach ja, Frau Nerz«, seufzte er. »Das ist jetzt ein bissle schlecht, wir haben Gäste. Nur so viel: Der verstorbene Herr Ingenieur Weber hätte halt auch eine natürliche Störung der Hämsynthese mit einer Neigung zur Porphyrie haben können. Das muss nicht vom Thujon kommen. Es sei denn, er hätte es in Form von Absinth über einen längeren Zeitraum zu sich genommen. Zusätzlich könnte sich der selige Martinus Weber sein Magenbitter noch ein bisschen aufgepeppt haben. Absirithtrinker wissen, wie man so was macht, sagen mir die Fachleute. Sie wollten sich auch nicht festlegen, ob die Flüssigkeit im Flachmann genug Thujon enthält, um einen Menschen zu töten, wenn er nur ein oder zwei Schlucke davon trinkt. Auch das Fehlen der Fingerabdrücke von Lotte Weber auf dem Flachmann hat sich geklärt. Die Großnichte, Jacqueline Binder, hat angegeben, am Vortag, dem Donnerstag, im Zuge ihrer regulären Tätigkeit als Putzhilfe im Hause Weber auch die Gegenstände auf Herrn Webers Schreibtisch abgestaubt zu haben, darunter besagten Flachmann. Mithin ließ sich der Anfangsverdacht gegen Lotte Weber nicht erhärten und die Beschuldigte war freizulassen. Ich war wohl ein bisschen voreilig, aber wissen Sie, der Herr Dr. Weber hat mich halt auch ganz narret gemacht mit diesen drohenden Klageerzwingungsverfahren. Man lässt sich ja nun auch nicht gerne Faulheit vorwerfen, gell. Und jetzt muss ich …«
»Und Victor Binder«, fragte ich schnell. »Woran ist der gestorben?«
»Nach jetzigem Stand der Ermittlungen an einer akuten Sepsis infolge eines entzündeten Insektenstichs in Kombination mit der Aufnahme eines thujonhaltigen alkoholischen Getränks in nicht zuträglich hoher Dosis. Er muss fast den ganzen Flachmann ausgetrunken haben. So, Frau Nerz, die Gäste warten … Wir sehen uns morgen auf der Beerdigung?«
Es war also alles nur wieder ein riesengroßes Hirngespinst ä la Lisa Nerz. Das wahre Leben bestand aus Bremsenstichen und Sepsis, aus Säuferlebern, kleinen Sünden und dummen Zufällen. Staatsanwältin Meisner hatte Recht. Das perfekte Verbrechen war nicht Frucht böser Intelligenz und genauer Planung, sondern Ergebnis von Zufall und Schlamperei der Ermittlungsbehörden.
40
Um sieben in der Frühe stand ich senkrecht im Bett. Und wenn es kein Hirngespinst war? Ich sprang in etwas Beerdigungsschwarzes, packte Cipión, weckte Brontë aus ihren Träumen und heizte sie aus der Stadt hinaus in den Morgen, der sich zwischen Wolken und Sonne zu entscheiden versuchte. Kräne wachten über den Messebauten am Flughafen, Tübingen blinzelte verschlafen, die Burg Hohenzollern saß
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