Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
hatten wir andere Sorgen. Außerdem hätte Martinus niemals zugelassen, dass seine Frau draußen umeinanderspringt und Rennen gewinnt. Aber was rede ich? Tut’s weh?«
    »Sie machen das wunderbar, Frau Weber!«
    Die Alte lächelte und entblößte kleine, überraschend weiße Mäusezähnchen. »Es wird dauern, bis das verheilt ist. Machen kann man da nicht viel. Aber wenn Sie wollen, kann Richard Sie nachher ins Krankenhaus fahren, wenn er wieder zurück ist.«
    »Wo ist er denn?«
    »Er wollte sich mit jemandem treffen. Er hat mir das von Victor erzählt. Schlimm! Arme Barbara. Das kann nur eine Mutter nachfühlen, was sie gerade durchmacht. Da lernt man beten! Aber Victor ist jung, er ist stark. Er kommt schon wieder in Ordnung. Was ist denn genau passiert?« Das Tupftuch verhielt. Ihre kleinen graublauen Augen knispelten mein Gesicht ab. Sie hatte auf altmodische Art blauen Lidschatten und Rouge aufgelegt.
    »Es sieht nach einer Vergiftung aus«, sagte ich.
    »Eine Vergiftung? Wie das?«
    »Es ist alles sehr rätselhaft.«
    Lotte legte den Lappen in die Wasserschüssel und nahm ein Wundspray. »Das brennt jetzt ein bisschen, aber Sie sind ja nicht wehleidig, gell?« Sie schüttelte das Spray und sprühte. Es brannte höllisch.
    »Hatte Martinus den Flachmann eigentlich immer bei sich?«, ächzte ich.
    »Behauptet Barbara etwa, da sei Gift drin gewesen? Die hat’s nötig! Sie selbst hat das Zeug Martinus doch empfohlen. Gut für die Galle. Alles, was bitter ist. Und jetzt behauptet sie, es sei Gift?« Lotte schüttelte den Kopf. »Immer sucht sie die Schuld bei anderen. Wir sind an allem schuld, was bei ihr schiefgegangen ist. Dass Maxi sitzen geblieben ist, daran sei Martinus schuld. Er hätte sie verstört! Aber haben Sie gesehen, was Maxi für Gifttiere in ihrem Zimmer züchtet! Wie leicht ist da was passiert! Das sieht man ja jetzt. Und sollte Martinus stillschweigend zugucken, wenn kranke Tiere auf der Weide stehen. Das ist doch Tierquälerei! Und dann dieser Sonntagsverkauf. Damit schadet sie doch auch den anderen Biobauern, die wo so was nicht machen.«
    Sie kramte einen Wundverband aus dem Erste-Hilfe-Kasten.
    »Und nun ist er tot, unser Martinus, und da wollen sie ihm wieder so was anhängen? Wo er sich nicht mehr wehren kann. Was meinen Sie, ist das Spray trocken?«
    Sie blies über meine Wunde und fuhr mit der knochigen Hand meinen Schenkel entlang. Dann legte sie das sterile Viereck über die Löcher und begann den Mull zu wickeln.
    »Sie haben sich sicher erschrocken, wie Sie Victor so sahen? Das ist immer erschreckend, das erste Mal, wenn man Menschen an der Schwelle zum Tod sieht. Es ist, als würde man dem Teufel in seine Fratze schauen. Mein Martinus hat sich ja gefeit geglaubt. Sein Sterben, das hatte er sich so vorgestellt, mit Krawatte vor Gott treten, Vergebung empfangen, die Augen schließen. Aber der Tod ist nie würdevoll. Es war weiß Gott kein schöner Anblick, das können Sie mir glauben, all das Erbrochene, da denkt man …«
    »Er hat sich erbrochen?«
    Lotte hob ihre kleinen Äuglein und blinzelte mich an.
    »Das hatten Sie vorgestern Abend nicht erwähnt«, sagte ich.
    »Ach, Fräulein Nerz. Ich wollte Richard nicht schockieren mit diesen Details. Er ist so empfindlich! Er hat zu viel Einbildungskraft, hat ein Lehrer mir einmal gesagt. Das Kind war mir immer ein Rätsel. Wieso hat er sich so wenig leiden können? Vielleicht konnte er deshalb auch seinen Vater nicht leiden. Manchmal habe ich gedacht, er hat ihn gehasst, dann wieder, er hat ihn abgöttisch geliebt. Nur zurechtgekommen sind die beiden miteinander nie. Sie müssen sagen, wenn es zu fest ist, ja?«
    »Perfekt.«
    »Heute weiß man so viel über Kinder, Legasthenie, ADS und all das. Früher hat’s Ohrfeigen gesetzt. Damals hat man auch keinen fragen können, was mit unserem Kind los war. Diese Gewalttätigkeit gegen sich selbst! Einmal ist er den Felsen am Altort hochgeklettert und abgestürzt, und wir dachten, das Kind wacht gar nicht mehr auf. Da habe ich gewusst, es muss weg. Sonst passiert noch was Schlimmes. Wir haben … nun ja, Richard dann auf eine Schule nach Stuttgart gesteckt. Erst vor ein paar Jahren hat Victor mir in einer stillen Stunde erklärt, was mit dem Kind los war. Und verstehen tue ich es immer noch nicht richtig. Die falsche Seele im falschen Körper! Verstehen Sie das?«
    »Nicht wirklich.«
    »Es war eine Prüfung Gottes, denke ich heute, und wir haben sie nicht bestanden.« Sie hob den Kopf und

Weitere Kostenlose Bücher