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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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hochtrabenden Reden vorkam.
    »… vom Vater verlassen vorkam, so schickt er sich im Lukas-Evangelium bereits vertrauensvoll in sein Schicksal: ›Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!‹ Doch erst im Johannes-Evangelium sieht er sein Werk im Einklang mit dem seines Vaters: ›Es ist vollbracht!‹ Wir mögen einwenden, es seien vier verschiedene Autoren, und Jesus könne am Kreuze nicht diese drei Dinge zugleich gesagt haben. Ich halte dagegen, dass die Autoren der Evangelien von einem Geist inspiriert wurden. Der Heilige Geist führt uns die drei Schritte der Reifung vor, welche der Sohn im Verhältnis zu seinem Vater durchmacht. Da ist zuerst der Vorwurf des jungen Mannes, der eigene Pläne mit seinem Leben hatte. Der reifere Mann erkennt, dass des Vaters Ziele so verkehrt nicht sein mögen, und schickt sich drein. Der gereifte Mann schließlich schließt Frieden mit dem Vater und erlebt sich als geistiger Erbe, der das Werk seines Vaters vollendet.«
    Unter den Männern in den Kirchenbänken saßen nun allerdings weder jugendliche Heißsporne noch solche, die danach aussahen, als müssten sie ein Werk von christlicher Welterrettung vollbringen.
    »Unter uns befindet sich heute«, beendete Frischlin seinen Gottesdienst, »ein Sohn, der gerade seinen Vater verloren hat.
    Ihm gehören unsere Gebete. Mit ihm gedenken wir Martinus Webers, der am Freitag von uns gegangen ist, in Trauer und Dankbarkeit. Amen.«
    Danach das Vaterunser und der Segen. Vor der Kirche das Händeschütteln, wobei die an Richard und Lotte vorbeiziehende Gemeinde nicht so recht wusste, ob auch mir ein Beileidsgemurmel zustand. Endlich trat Frischlin wallend aus der Kirche, um hier und dort ein paar Worte zu wechseln und sich für seine Predigt loben zu lassen.
    »Gehen wir!«, sagte Richard, mit dem Autoschlüssel bewaffnet. »Wir sollten noch kurz zur Polizeidirektion.«
    »Zur Polizei?«, wunderte sich Lotte.
    »Nur eine Formalität. Die Polizei braucht auch deine Aussage, weil Victor den Flachmann von uns hat.« Er nahm seine Mutter am Ellbogen.
    »Moment«, sagte ich. Aber Richard führte seine Mutter mit solcher Geschwindigkeit zum Tor hinaus und zu seinem Wagen ab, dass ich befürchten musste, er werde mich stehen lassen.
    »Herr Dr. Weber!« Frischlin kam uns mit wehendem Talar hinterhergelaufen.
    Richard schlug die Tür zum Beifahrersitz zu, auf den er seine Mutter verfrachtet hatte, und blieb am Heck seiner Nobelkarosse stehen.
    »Sie haben mir noch keine Gelegenheit gegeben«, sagte der Pfarrer, »ein persönliches Wort an Sie zu richten, wo Sie nun schon zusammen mit …«, er musterte mich besorgt, »… Ihrer Freundin den Weg in unser bescheidenes Gotteshaus gefunden haben.«
    »Der Protestantismus kennt kein Gotteshaus«, bemerkte Richard. »Sonst hieße Ihr Gottesdienst ja Götzendienst.«
    Frischlin schluckte, legte einen neuen Satz unerschütterliches Glänzen in seine Augen und zwang sich zu einem Lachen. »Ja, wie der Vater, so der Sohn. Ihrem Vater konnte keiner von uns, auch ich nicht, das Wasser reichen in der Herzenskenntnis der Schrift und unserer essenziellen Glaubensgrundsätze. Ich habe es einmal so ausgedrückt: Ihr Vater hatte einen Peilsender im Herzen, der ihn stets und überall auf dem richtigen Weg hielt. Nie hat er gezweifelt, nie ließ er sich beirren, und so manches Mal hat er auch mich beschämt mit seiner größeren Konsequenz in Glaubensfragen, als ein Pfarrer sie oftmals zeigen kann. Wir müssen leider zu viele Kompromisse machen, um unsere jungen Klienten nicht zu verprellen. Und zuweilen müssen wir auch unkonventionelle Wege gehen. Wir haben jede Menge Frauenarbeit gemacht in der Kirche, jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir die Gedanken von der anderen Seite her neu formulieren und den Männern ihre Rechte zurückgeben.«
    »Die sie nie verloren haben«, bemerkte ich.
    Die Herren ignorierten meinen Einwurf, denn es galt das Wort von Paulus: »Es steht der Frau schlecht an, in der Gemeinde zu reden.«
    »Auch Männer haben eine Spiritualität, sie müssen sie nur wiederentdecken und leben«, erklärte Frischlin. »Ich habe lange über meine heutige Predigt nachgedacht, Herr Dr. Weber. Als Ihre Mutter, Sie und ich gestern Abend zusammensaßen, um den Trauergottesdienst zu besprechen, hatte ich den Eindruck, dass da bei Ihnen noch ein Groll gegen Ihren Vater ist. Das habe ich oft erlebt, wenn sich Vater und Sohn zu ähnlich sind und wenn der Sohn dann Front macht. In dem Glauben, den Geist des

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