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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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du mir erzählst, ist hart. Deine Frau hat dich mit deinem Kumpel betrogen, und sie haben sich hinter deinem Rücken Zettelchen geschrieben. Das ist scheiße, aber so ist es nun mal. Und es ist lange her. Dein Kumpel ist mittlerweile tot. Du kannst nicht den Verstand darüber verlieren, verstehst du?«
    »Ich habe die Zettel gerade gefunden. Habe ich kein Recht darauf, sauer zu sein?«
    Larry hob die Brauen. »Du bist ein bisschen spät dran mit deiner Wut.« Er lachte, versuchte, heiter zu wirken.
    Tim war genervt von Larrys altklugem Gefasel. »Wann verjährt so was denn? Du musst das doch wissen! Ich habe meine Frau jedenfalls noch nie betrogen.«
    Larry blieb ruhig. »Das kommt darauf an, ob Liz Peter geliebt hat und es vielleicht immer noch tut. Vermisst sie ihn? Hatten sie gemeinsame Pläne? Ist ihr Neuer wie Peter?« Er hielt einen Moment inne. Sah Tim nicht an. »Weißt du, mein Fraynd, zu einem Betrug gehören immer zwei. Einer, der betrügt, und einer, der sich betrügen lässt.« Das saß.
    Den Nachmittag über war Tim allein im Haus. Larrys Worte echoten in seinem Kopf. Er saß in der Küche und sah auf die Straße hinaus. »… von einem, der den Verstand verloren hat.« Hatte er den Verstand verloren? Nein, seine alte Wut war wieder in ihm aufgestiegen.
    »Können Sie die Wut beschreiben?«, hatte der Therapeut damals gefragt. Tim hatte auf seine Hände gesehen, die geschwollenen Finger geknetet. Das hier war ein Fehler gewesen, verdammt. Peter hatte ihm den Therapeuten empfohlen. Er war hingegangen, weil er seine Wut nicht mehr im Griff hatte. Weil er Angst hatte, irgendwann jemanden zu verletzen. Weil die Wut ihn immer öfter in unbemerkten Momenten überfiel.
    »Hat Ihre Wut … eine Farbe?«
    Tim ballte die Fäuste. Hätte dem Typ gerne eine verpasst. Eine Farbe? Fuck it. Ja! Gleißendes Weiß! Verficktes grelles Weiß, das in heißes Tiefrot überging.
    Dann hatte er eine Entschuldigung gemurmelt und war aufs Klo gegangen. Musste seinen Atem beruhigen. Er legte das heiße Gesicht an die hellblauen Kacheln und schloss die Augen. Als er zurückkam, hielt ihm der Therapeut einen Zettel entgegen. »Dies ist ein Rezept für Tegretol. Ich denke, das ist sinnvoll.«
    Als er Tim das Papier reichte, zitterte die Hand. Blaue dicke Venen liefen über den Handrücken. Altmännerhand. Loser.
    Vielleicht hatte er ihm unrecht getan. Wie auch immer. Dieser Therapeut jedenfalls hatte sein Problem nie lösen können, lange war er nicht zu ihm gegangen.
    Tim stand auf, lüftete durch, machte eine Maschine Wäsche und fuhr zum Supermarkt einkaufen. Mit fünf vollen Plastiktüten kehrte er nach Hause zurück und hatte das Gefühl, dem Verrückten namens Tim Wilkins, der nachts besinnungslos Bücher zerriss, Paroli geboten zu haben. Er war mit sich zufrieden, machte sich einen starken Kaffee und rauchte zwei Zigaretten.
    Er ignorierte das Chaos im Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch, den Blick starr auf den Computer geheftet. Er würde später aufräumen. Jetzt hatte er Wichtigeres zu tun. Während er den Computer hochfuhr, erinnerte er sich an etwas, das ihm seine Mutter ins Ohr geflüstert hatte, als er ein kleiner Junge war. Wann immer in seinem Zimmer Kleidung, Schuhe, Bücher und Spielsachen den Boden bedeckten, sodass kein Teppich mehr sichtbar war, hatte sie ihn in den Arm genommen und gesagt: »So sieht es in dir drinnen aus. Wenn du das ändern willst, dann räumst du auf, einverstanden?« Ihr Flüstern hatte ihn am Ohr gekitzelt. Zärtlich hatte sie ihm dabei über den Kopf gestreichelt. Das hatte er nie vergessen.
    Fuck it. So wie in diesem Raum sah es tatsächlich in ihm aus. Aber erst wenn sich das änderte, würde er hier Ordnung machen.
    Er begann, Stellenanzeigen zu googeln. Friseure und Gärtner schienen gebraucht zu werden. Finanzberater oder Buchhalter nicht.
    Dann hatte er eine Idee, googelte eine Telefonnummer und rief das Guitar Centre an. Ein verschlafener Typ meldetete sich am anderen Ende. Laute Musik im Hintergrund. Es klang, als probierte jemand eine E -Gitarre aus. Tim erklärte, dass er einen Job suche. Er sei so etwas wie ein Finanzberater, könne aber auch Buchhaltung machen. Der Typ notierte seine Nummer. »Kann sein, dass wir da demnächst tatsächlich jemanden brauchen. Big Dee hat mal so was gesagt. Der ist aber jetzt nicht da. Er ruft dich zurück.«
    Tim stellte sich vor, wie er zum Guitar Centre zur Arbeit gehen würde. In T -Shirt und Jeans. Vielleicht Turnschuhe.

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