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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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wandte sich Larry seinem leeren Teller zu. Mit einem Stück Weißbrot wischte er braune Soßenreste vom weißen Porzellan.
    Tim entschuldigte sich. Er musste zur Toilette. Fühlte sich wackelig, als er aufstand. Er hatte eine ganze Flasche Wein und zwei Martini intus. Vorsichtig durchquerte er den Raum. Ging zwischen voll besetzten Tischen hindurch, bemüht, nirgendwo anzustoßen. Hielt den Blick verkrampft auf den Boden gesenkt. Es waren immer die Handtaschen. Auf dem Boden abgestellte Handtaschen. Stolperfallen.
    Runde Tische mit weißen altmodischen Tischdecken. Eine alte Dame vor ihm stand auf. Unendlich langsam. Höflich wartete er, bis sie es geschafft hatte.
    Am Tisch direkt neben ihm saß eine Familie mit erwachsenem Sohn. Der Vater sportlich gekleidet, grau meliert, aber doch fast jugendlich. Er trank ein Bier. Seine Frau etwas jünger. Im Kleid. Brünett. Rot lackierte Fingernägel. Sie lachte über etwas, das der Sohn gesagt hatte, legte dem Vater die Hand auf den Arm. Der Sohn war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. »Mom, Mom … Du verstehst nicht!« Er griff ihre Hand, zwinkerte dem Vater zu. Schien sie zu etwas überreden zu wollen.
    Lachend entzog sie ihm ihre Hand. »Um Gottes willen! Das werde ich natürlich nicht machen! Da könnt ihr euch noch so zusammentun!«
    Der Sohn fiel in ihr Lachen mit ein. Er trug ein Sweatshirt mit Princeton-Aufdruck. Die Mutter tupfte sich die Tränen von den Wangen. Und küsste herzlich die Wange ihres Sohnes. »Du wirst uns fehlen, verrückter Kerl.«
    Tim hörte und spürte die Intimität des Augenblicks. Es versetzte ihm einen Stich. Fuck. Es war so simpel.
    Schmaler dunkler Gang. Schwingtür zur Küche. Kellner balancierten Teller an ihm vorbei.
    Ungünstiger Ort für Toiletten. Ein älterer Herr stand vor dem Klo. Wartete. Auch er grau meliert in dunkelblauem Anzug. Völlig ruhig stand er da, in Gedanken versunken.
    Dann bemerkte er Tim. Nickte ihm freundlich zu.
    Die Tür der Damentoilette gegenüber öffnete sich langsam. Eine silbergraue Dame in dunkelgrauem Kleid kam heraus.
    Sie kämpfte mit dem Knauf, die Tür war schwer.
    Der Mann kam ihr zu Hilfe, hielt ihr galant die Tür auf.
    »Bist du wieder schneller als ich.« Sie kicherte verlegen. Tim bemerkte die Runzeln um ihre Augen. Ein seltener Anblick in dieser Stadt der ewigen Jugend, dachte er.
    Zärtlich strich die Frau dem Alten leicht über die Wange. »Holst du dann die Mäntel?«
    »Natürlich.«
    Er lächelte Tim an, der die Szene beobachtet hatte. Tim lächelte zurück. Gerührt. Die Vertrautheit war unübersehbar.
    Mein Gott, er war sentimental.
    »Ihre Frau?«
    »Wir sind dreiundvierzig Jahre verheiratet!« Er lachte, Stolz lag in seiner Stimme.
    Tim blieb allein im Gang zurück.
    43 Jahre. Das hatte er nicht geschafft.
    Als er zum Tisch zurückkehrte, saßen zwei Mädchen auf seinem Platz. Kurze, enge Kleider. High Heels. Brünett und blond.
    Larry, weit über den Tisch gelehnt, gestikulierte wild.
    Das Bild war Tim bekannt. Ein Déjà-vu. Larry, der Hahn im Korb, große Gesten, Alkohol, Mädchen. Er hatte es so oft gesehen. Es überraschte ihn, dass es ihm heute nicht gefiel. Es nervte ihn.
    Die beiden Frauen warfen lachend das Haar zurück.
    »Tim! Die beiden Engel hier sind Tracy und …?« Larry sprach zu laut. Das Mädchen mit Pferdeschwanz tat beleidigt. »Susan.«
    »Tracy und Susan aus Texas!« Larry schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Herrlicher Akzent!« Er ahmte ihren breiten Texas-Slang nach. Seine überschwängliche Anmache war Tim peinlich. Er kannte das Funkeln in Larrys Augen. Eine Mischung aus Ausgelassenheit und Gier.
    »Hi!« Er lächelte angestrengt. Bemühte sich, beim Händedruck nicht zu fest zuzudrücken. Die beiden waren Anfang dreißig, trugen keine Eheringe. Viel Make-up, glatt geföhntes Haar, glitzernde Ohrringe. Ein bisschen billig. Provinziell.
    Und angetrunken, klar. Sonst hätte Larry keine Schnitte gehabt. Sie waren trotz allem nicht unattraktiv.
    Der Kellner brachte vier Gläser Champagner.
    »Stell dir vor, die Mädels sind Singles! Und sie sind zum ersten Mal in L.A . Da haben wir doch alle was zu feiern!« Larry kam gleich zur Sache.
    Sie stießen miteinander an. Larry zwinkerte ihm verstohlen zu. Unnötig. Er verstand auch so, was der Plan war.
    Tim spülte sein Unbehagen mit einem einzigen großen Schluck hinunter. Fuck it. Vielleicht hatte Larry recht. Ein bisschen flirten, feiern, Mädchen kennenlernen, war genau das Richtige. Er

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