Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
hätte? Verdammt, ich habe seit vier Wochen keinen Sex gehabt.«
»Na, Jungs!«
Aida war abgeschminkt und trug Jeans. Die Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie strich Larry über den Kopf. »Dir scheint’s ja besser zu gehen.«
»Aaah, die Verdi-Oper!« Larry zog sie in einen der freien Sessel hinunter. »Das Mädchen kommt immer im richtigen Moment!«
Tim goss den restlichen Wodka in drei Gläser. Fischte eine Handvoll halb geschmolzener Eiswürfel aus dem Kübel.
Sie stießen an. Alle tranken auf ex.
»Wie sieht’s aus? Braucht ihr eine Mitfahrgelegenheit?« Aida erhob sich.
Larry hatte recht, sie kam immer im richtigen Moment.
16
Die letzten Tage des Septembers. Larry wohnte seit zehn Tagen bei ihm. Der Streit mit Derek lag über zwei Wochen zurück. Zwei Wochen Stille. Sein Geld würde noch bis Jahresende reichen. Drei Monate. Alles ließ sich errechnen. In Zahlen ausdrücken. Zahlen waren einfach. Schmerzlos.
Larry stand morgens meist als Erster auf und machte Kaffee. Dann rauchten sie, lasen Zeitung und redeten bis in den frühen Nachmittag hinein. Manchmal ging Tim eine Runde Joggen.
Abends kam Aida vorbei. Brachte Joints mit. Zusammen hingen sie auf der Couch im Wohnzimmer, guckten fern, aßen Chips.
Die Tage kamen und gingen. Nichts war wichtig. Er hatte aufgehört, in Liz’ Büchern nach Briefen zu suchen. Larry hatte sich irgendwann kopfschüttelnd daran gemacht, die Bücher ins Regal zurückzustellen. Nach Autoren geordnet.
»Moby Dick« legte er auf Tims Nachttisch. »Tree, solltest du lesen. Verbitterter Typ mittleren Alters kämpft gegen Riesenwalfisch …«
Tim verspürte keine Lust auf Selbstanalyse. Wenn er high war, hatte er hin und wieder Momente, in denen er sich von außen betrachtete. Momente, in denen er einen blassen Loser auf der Couch sah. Das reichte. Ein gescheiterter Ehemann mit erwachsenem Sohn, der sich benahm wie ein Achtzehnjähriger.
Er steckte fest. Zwischen zwei Leben. Einem alten, das er noch nicht richtig verstanden hatte und zu dem er nicht mehr zurückkonnte, und einem neuen, von dem er nicht wusste, wie es aussah und was für eine Rolle er darin spielen würde. Eine gefährliche Zwischenwelt.
John McClane hatte das beunruhigende Gefühl, auf dünnem Eis zu stehen.
Wann würde er einbrechen?
Schon den ganzen Tag hatte Larry in Jogginghose und Unterhemd abgehangen. Hatte »November Rain« von Guns N’ Roses gesummt. Überall ließ er Socken, leere Chipstüten und anderen Kram liegen. Benutzte Tims Zahnpasta, und wenn er geduscht hatte, hinterließ er Wasserpfützen auf dem Badezimmerboden.
Das Unterhemd hatte Kaffeeflecken am Bauch.
Aida schien sein Anblick nicht zu stören. Sie mochte Larry. Alberte ungezwungen mit ihm herum, als sei er ihr großer Bruder. Larry ließ sich ihre Neckereien gefallen und phantasierte herum, dass er sie mit nach New York nehmen würde.
Die sexuelle Spannung zwischen ihnen hatte nachgelassen, seit Larry eingezogen war. Wenn sie abends high und vollgefressen waren, hatten sie keine Lust mehr. Ihm sollte es recht sein.
Aida hatte ihren Kopf auf Larrys Schulter gelegt. »Lieblingsfilme, los!«, sagte sie.
Larry kratzte sich die Stirn. Als würde er sich mit Filmen auskennen.
»Larry guckt keine Filme!« Das wusste Tim.
»Hey, das stimmt nicht!«
»Dann fang ich an! ›Big Lebowski‹, ›Fear and Loathing in Las Vegas‹ und … ›Cheech and Chong‹!«
Larry schlug sich übertrieben auf die Schenkel. »Das sind alles Stonerfilme, Verdi!« Seit ein paar Tagen war das Larrys Kosename für Aida. »Tree, jetzt du!« Er benutzte wieder Alfies Spitznamen für ihn.
Tim überlegte. Seine Augen brannten, und er fühlte sich mal wieder müde.
Larry aß laut schmatzend die letzten Chipskrümel aus der Tüte.
Es fiel Tim schwer, sich zu konzentrieren. Im Kopf ging er Filme durch, die er mit Liz gesehen hatte.
»Die Reifeprüfung«, »Marnie« und … »Frühstück bei Tiffanys«.
Er mochte Audrey Hepburn nicht, aber Liz hatte ihre Filme geliebt.
»Audrey Hepburn ist heiß!« Larry öffnete noch ein Bier.
»Hey, das war das letzte!«, sagte Tim. Er war am Spätnachmittag zum Chinesen gegangen und hatte ein Sixpack geholt. Die Selbstverständlichkeit, mit der Larry die letzte Dose griff, nervte ihn.
»Na, dann teilen wir!«
»Jetzt du!«, drängte Aida Larry.
»Ich mag ›Seinfeld‹, ›Cheers‹ und ›Yentl‹, Barbara Streisand ist meine heimliche Liebe.« Er zwinkerte. »Abgesehen von
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