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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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langen Gang entlang. Konzertposter links und rechts. Einige fielen fast von der Wand. Der Tesafilm hatte sich gelöst.
    Verstärker stapelten sich in der Ecke, Kartons und Werbeflyer säumten den Gang. Aus einem der Räume drang Musik. Der Langhaarige klopfte an eine Tür mit Graffiti.
    »Komm rein!«
    Ein riesiger Schreibtisch aus rohem Metall nahm den halben Raum ein. Auf der Tischplatte stapelten sich Papierberge und Musikzeitschriften. Daneben standen eine Kaffeemaschine mit halb voller Kanne und ein Achtzigerjahre-Plattenspieler. Der kleine Mann mit Brille versank fast dahinter. Anfang fünfzig. Graues Haar. Sehnige Arme, graues T -Shirt. Das war Big Dee?
    Tim kam sich sofort verkleidet vor. Die Unsicherheit kehrte zurück.
    Dee streckte ihm die gebräunte Hand entgegen. Fester Händedruck. Er war trainiert.
    »Hey there.« Er hatte eine angenehme Stimme, zeigte auf den freien Stuhl. Tim zog ihn ein Stück zurück, um nicht mit den Knien an den Schreibtisch zu stoßen. Dee goss ihm eine Tasse Kaffee ein.
    Entspannt saß er in einem großen Bürostuhl mit rotem Kissen, betrachtete Tim aufmerksam.
    »Phish!« Big Dee nickte anerkennend. »Das war das beste Album! 1991.«
    Tim räusperte sich. »›Junta‹ mag ich auch.« Er klang zu vorsichtig, versuchte, sich zu entspannen. Der zusammengerollte Lebenslauf nervte. Er wusste nicht, wohin damit.
    »Stimmt! Das war ein geiles Album! Ich glaube, ich hab’s sogar als Vinyl irgendwo hier …«
    Neben dem Schreibtisch ein riesiges Plattenregal. Alphabetisch geordnet. Dee schwang auf dem Stuhl herum und suchte konzentriert. Seine schmalen Finger flogen über die Plattenhüllen.
    Tim nutzte die Gelegenheit, um sein T -Shirt glatt zu ziehen und die Beine zu entknoten. Er legte den Lebenslauf unter den Stuhl. Er massierte seine Hände. Er war zu angespannt. Möglichst geräuschlos stieß er Luft aus. Fühlte, wie sich die Aufregung ein bisschen legte. Fuck. Er wollte diesen Job.
    Dee war fündig geworden. Triumphierend zog er eine Hülle heraus. Dann warf er den alten Plattenspieler an. Drehte laut auf.
    Sie nickten zur Musik und sangen den Refrain mit. Tim kannte jedes Wort. Das Eis war gebrochen.
    Dann lehnte Dee sich vor. »Hast du eine Vita dabei?«
    Hastig griff Tim die Plastikhülle unter dem Stuhl. Damit hatte er nicht mehr gerechnet. Dee drehte die Lautstärke herunter und las aufmerksam. Tim hörte ihn ruhig atmen und konzentrierte sich auf die Konzertposter an der Wand.
    Kiss, Def Leppard, Rolling Stones, Nirvana …
    »Du bist für diesen Job völlig überqualifiziert, das weißt du?« Dee ließ das Papier sinken und sah ihn an.
    Tim zuckte mit den Schultern. Ihm fiel keine gute Antwort ein.
    »Frau? Kinder?« Dee hob die Brauen.
    Tim räusperte sich. »Meine Frau und ich haben uns vor Kurzem getrennt. Unser Sohn ist schon erwachsen.« Viel zu leise, unsicher.
    Dee betrachtete ihn ruhig.
    Tim räusperte sich noch einmal. »Ich bin aus Arkansas. Als ich vor über dreißig Jahren nach Los Angeles kam, habe ich in einer Band gespielt. Nichts Besonderes. Aber wir haben immer hier abgehangen, im Guitar Centre.« Er stockte. »Damals war das mein Zentrum von L.A. , der beste Ort auf der ganzen Welt.«
    Dee lächelte.
    »Dann habe ich geheiratet und nur noch gearbeitet. In einer Bank. Ein Ort, der mit mir gar nichts zu tun hatte. Die Jahre sind vorbeigerast, und ich habe es nicht mitbekommen. Ich möchte jetzt an einem Ort sein, an dem ich gerne arbeite. Und wo ich Musik hören kann.« Er nickte mit Nachdruck.
    Dee nahm seine Brille ab. »Ich lebe seit einem Jahr getrennt. Ist verdammt hart.« Einen Moment lang schien es, als wolle er noch etwas sagen.
    Dann brach der Moment wie eine kleine Welle am Strand. Verlief sanft ins Nichts. Dee setzte die Brille wieder auf. Trank seinen Kaffee aus.
    Dann erhob er sich und drückte Tims Hand.
    »Danke fürs Gespräch. Wir melden uns.«
    Als er zum Wagen schlenderte, ging er das Gespräch noch mal in allen Details im Kopf durch. Er war sich nicht sicher, ob es gut gelaufen war, gegen Ende war er vielleicht zu persönlich geworden.
    Er hatte noch keine Lust, nach Hause zu fahren. Wenn Larry immer noch nicht zurück war, würde er wieder der Stille im Haus ausgesetzt sein.
    Er lief in östlicher Richtung. Die Sonne tat gut. Grelle Abendsonne. Er zog das Jackett aus.
    Auch wenn er den Job nicht bekommen würde, fühlte sich dieser Moment gut an. Er hatte es versucht.
    In einem kleinen Touristenladen am Sunset Boulevard kaufte er

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