Allmen und die verschwundene María
geantwortet. Damals war sie fünfundzwanzig gewesen, und in den siebenundzwanzig Jahren, die seither vergangen [17] waren, hatte der Sessel sie zu jeder ihrer Arbeitsstellen begleitet.
Jetzt saß sie darin, hatte die Beine auf seiner Ottomane hochgelagert, nippte an einem Black Label mit vier Stück Eis und blätterte in einem People -Magazin voller Prominenz, wie sie längst nicht mehr im Schlosshotel abstieg.
Die vier Fenster ihres Wohnzimmers standen weit offen, denn sie rauchte, und Dalia Gutbauers feine Nase roch Rauch durch alle Ritzen. Sie beschwerte sich darüber, obwohl sie selbst heimlich paffte.
Die Nachricht von Claude Tenz’ gewaltsamem Tod hatte sie seltsam ungerührt gelassen, wie eine rasch überflogene Meldung in ›Vermischtes‹. Diese Gefühlskälte beunruhigte sie ein wenig. Aber ebenfalls nicht mehr als die Tatsache selbst. Vielleicht, dachte sie, sollte sie sich einfach damit abfinden, dass sie ein kalter Arsch war, wie ein Liebhaber sie einst genannt hatte.
Eine Vase mit noch fast geschlossenen Tulpen stand auf einem runden Tisch beim Fenster. Die tiefe Aprilsonne warf den langen Schatten des Straußes auf das Parkett. Das Bild brachte ihre Gedanken auf ein anderes Blumenstillleben: die Dahlien von Henri Fantin-Latour.
Seit drei Tagen befand sich das Werk wieder im [18] Besitz von Dalia Gutbauer, und seither hatte diese es mit keinem Wort erwähnt. Als wäre das Thema mit der Zahlung des Lösegeldes und des Honorars von Allmen International Inquiries für sie abgeschlossen. Allmen hatte offenbar Wort gehalten und Cheryls Rolle beim Verschwinden und Wiederauftauchen des Bildes nicht verraten. Aber sie hatte damit gerechnet, dass Dalia sich zumindest Gedanken darüber machen würde, wer vom Personal Claude Tenz’ Komplize war. Oder Komplizin. Denn selbst wenn sie Allmen geglaubt hätte, dass Tenz durch sein Fachwissen als ehemaliger Alarmanlagenspezialist in Madame Gutbauers Etage hätte eindringen können, wäre es ohne Mittäter schwierig geworden, das Bild hinauszuschaffen.
Wie sie Dalia Gutbauer kannte, konnte sie jederzeit unvermittelt auf das Thema zurückkommen. Aber auch diese Möglichkeit ließ Cheryl seltsam gleichgültig.
Eine rasch dahinziehende Wolke schob sich vor die Sonne und verdunkelte den Raum. Cheryl sah erwartungsvoll von ihrer Zeitschrift auf, wie vom Programmheft zur Bühne.
Als hätte es auf dieses Zeichen gewartet, begann ihr Mobiltelefon zu klingeln.
»Allmen. Verzeihen Sie die Störung.«
»Sie stören nicht.«
[19] »Können wir uns treffen?«
Cheryl Talfeld hatte die Begegnung mit Johann Friedrich von Allmen in guter Erinnerung. Der etwas aus der Zeit gefallene Dandy mit den vollendeten Umgangsformen hatte sie amüsiert und ihr geschmeichelt. Die Vorstellung, ihn nach so kurzer Zeit wiederzusehen, gefiel ihr. »Worum geht es denn?«, fragte sie.
»Das möchte ich Ihnen lieber persönlich sagen. Ich will Sie nicht überfallen, aber würde es Ihnen zum Beispiel – in einer halben Stunde passen?«
Cheryl ließ das kurze Auflachen vernehmen, mit dem die hoffnungslos Ausgebuchten auf Terminvorschläge reagieren.
Allmen wartete.
Cheryl suchte nach dem richtigen Zeitpunkt. Nicht zu bald, damit sie nicht das Gesicht verlor, und nicht zu spät, damit er es sich nicht anders überlegte. »In anderthalb Stunden«, schlug sie vor. »Allenfalls.«
»Einverstanden. Im Hotel?«
Cheryl wollte nicht, dass es sich um die Art von Treffen handelte, die auch an ihrem Arbeitsort stattfinden konnte. »Machen Sie einen besseren Vorschlag.«
»In der Goldenbar.«
Als er aufgelegt hatte, schloss sie die Fenster, [20] ging ins Bad und zog sich aus. Das Licht, das durch die gelben Vorhänge fiel, schmeichelte ihrem knochigen Körper. Es machte die Konturen weicher und glättete die schlaffen Stellen. Die Brüste waren zu klein, um zu hängen, und ihre Pobacken und Oberschenkel zu mager für Orangenhaut. Ihr Körper war gut gealtert, fand sie. Zwar um den Preis eines etwas harten und strengen Gesichtsausdrucks, aber es gab Männer, die das mochten.
Cheryl unterstrich das Gouvernantenhafte ihrer Erscheinung noch durch die schwarzen Lid- und Augenbrauenstriche, den hellen Fond de Teint, den dunkelroten Lippenstift und das hochgesteckte Haar, dessen graue Strähnen sie durch eine pechschwarze Färbung zum Verschwinden brachte.
Sie warf einen letzten Blick in den Ganzkörperspiegel und drapierte vorsichtig eine geblümte Duschhaube über die Turmfrisur, bevor sie
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