Allwissend
ausgewählt.«
»Zucker?«
»In zweierlei Form: vergoren.« Er brachte eine teure Flasche Weißwein zum Vorschein. »Lecker.«
»Und gebacken.« Eine Tüte Kekse kam hinzu. »Mir ist eingefallen, wie Sie die Kekse im Büro angesehen haben, als Ihre Assistentin versucht hat, mich zu mästen.«
»Das ist Ihnen also aufgefallen?« Dance lachte. »Sie wären ein guter Vernehmungsbeamter. Wir müssen auch auf alle Kleinigkeiten achten.«
Sie sah ihm an, dass er aufgeregt war.
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte er. »Können wir uns irgendwo setzen?«
Sie bat ihn ins Wohnzimmer, wo Boling einen weiteren Laptop auspackte, einen auffallend großen, dessen Fabrikat sie nicht kannte. »Irv hat's geschafft«, verkündete er.
»Irv?«
»Irving Wepler, der Mitarbeiter, von dem ich Ihnen erzählt habe. Einer meiner Studenten.« Also doch nicht Bambi oder Tiff. »Alles von Travis' Laptop ist jetzt auch hier drin.« Er tippte etwas ein. Unmittelbar darauf war die Bildschirmanzeige zu sehen. Dance hatte nicht gewusst, dass Computer so schnell einsatzbereit sein konnten.
Maggie verspielte sich in ihrem Zimmer auf dem Keyboard. Es klang ziemlich schräg.
Dance zuckte zusammen. »Tut mir leid.«
»Cis«, sagte Boling, ohne vom Monitor aufzublicken.
Dance war überrascht. »Sind Sie Musiker?«
»Nein, nein. Aber ich habe ein absolutes Gehör. Bloß ein glücklicher Zufall. Und ich weiß nichts damit anzufangen. Ich bin musikalisch kein bisschen begabt. Ganz anders als Sie.«
»Ich?« Sie hatte ihm nichts von ihrer Nebenbeschäftigung erzählt.
Ein Achselzucken. »Ich hab bei Google einfach mal Ihren Namen nachgeschlagen, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass Sie mehr Treffer als Liederjägerin haben würden als als Cop... Oh, darf ich Cop sagen?«
»Bislang gilt der Begriff noch nicht als politisch inkorrekt.« Dance erzählte ihm, dass sie eine verkrachte Folksängerin sei und als musikalische Wiedergutmachung ein Projekt ins Leben gerufen habe, das sie und Martine Christensen betrieben - eine Internetseite namens American Tunes, benannt nach Paul Simons tiefschürfender Hymne aus den Siebzigern. Die Arbeit daran stellte einen notwendigen Ausgleich für Dance dar, die sich aufgrund ihres CBI-Jobs oft für längere Zeit an manch finsterem Ort aufhalten musste. Es gab nichts Besseres als Musik, um sie verlässlich aus den Gedankenwelten der Verbrecher zu befreien, die sie verfolgte.
Obwohl Leute wie sie meistens »Liederjäger« genannt wurden, lautete die korrekte Bezeichnung eigentlich »Folklorist«, erklärte Dance. Alan Lomax war der bekannteste von ihnen - er hatte in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die amerikanische Provinz bereist, um im Auftrag der Kongressbibliothek traditionelle Musik zu sammeln. Auch Dance fuhr sooft es ihr möglich war durchs Land und ging auf Spurensuche, wenngleich sie es im Gegensatz zu Lomax nicht auf Bergmusik, Blues und Bluegrass abgesehen hatte. Die heutige Musik Amerikas war afrikanisch, karibisch, ostindisch und asiatisch; ihre Wurzeln lagen im Afro-Pop, in Nova Scotia, bei den Cajuns und Latinos.
American Tunes half den Musikern, ihre Werke urheberrechtlich schützen zu lassen. Die Musik wurde dort auch zum kostenpflichtigen Download angeboten, und das von den Zuhörern bezahlte Geld floss direkt an die Künstler.
Boling wirkte interessiert. Auch er schien ein- oder zweimal im Monat in die Wildnis aufzubrechen - um zu wandern. Er sagte, eine Zeit lang sei er begeisterter Felskletterer gewesen, aber das habe er aufgegeben.
»Die Schwerkraft lässt nicht mit sich verhandeln«, sagte er.
Dann deutete er in die Richtung des Zimmers, aus dem die Musik kam. »Sohn oder Tochter?«
»Tochter. Die einzigen Saiten, mit denen mein Sohn sich auskennt, sind die Bespannungen von Tennisschlägern.«
»Sie ist gut.«
»Vielen Dank«, sagte Dance mit einigem Stolz. Sie hatte Maggie immer wieder ermutigt, übte mit ihr und - was noch zeitaufwendiger war - fuhr sie zum Klavierunterricht und zu ihren Aufführungen.
Boling tippte etwas ein, und auf dem Bildschirm erschien eine bunte Seite. Doch dann änderte seine Körpersprache sich plötzlich. Dance bemerkte, dass er über ihre Schulter zur Tür blickte.
Sie hätte es ahnen müssen. Das Keyboard war vor einer halben Minute verstummt.
Boling lächelte. »Hallo, ich bin Jon. Ich arbeite mit deiner Mutter zusammen.«
Maggie hatte ihre Baseballmütze verkehrt herum aufgesetzt. »Hallo.«
»Mützen im Haus«, mahnte
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