Allwissend
Fälle anzusprechen; weder der Kreuz-Fall noch der Fall Miliar wurde erwähnt.
»He, Freundin«, sagte die langhaarige Martine zu Dance und zwinkerte ihr zu, während sie ihr einen gefährlich aussehenden selbst gebackenen Schokoladenkuchen überreichte.
Kathryn und Martine waren beste Freundinnen, seit die Frau beschlossen hatte, Dance praktisch im Alleingang aus der bequemen Lethargie des Witwendaseins wachzurütteln und wieder ins Leben zurückzuzwingen.
Als würde man von der synthetischen in die echte Welt zurückkehren, dachte Dance nun.
Sie umarmte Steven, der prompt ins Wohnzimmer ging, um sich den anderen Männern anzuschließen. Seine Birkenstock-Sandalen klapperten im gleichen Rhythmus, in dem sein Pferdeschwanz wippte.
Die Erwachsenen tranken Wein, und die Kinder hielten im Garten eine improvisierte Hundeshow ab. Raye hatte offenbar seine Hausaufgaben gemacht. Er lief im Kreis um Patsy und Dylan herum, führte Tricks vor und sprang über Bänke. Martine sagte, er sei der Star seiner Gehorsamkeits- und Geschicklichkeitskurse.
Maggie kam und sagte, sie wolle mit ihren Hunden auch zur Schule gehen.
»Mal sehen«, sagte Dance.
Schon bald wurden die Kerzen angezündet, Pullover verteilt, und alle nahmen am Tisch Platz, wo das Essen in der für Monterey typischen Abendkühle auf den Tellern dampfte. Die Gespräche waren so lebhaft, wie der Wein reichlich floss. Wes flüsterte den Zwillingen Witze zu, die daraufhin nicht etwa wegen der Pointen kicherten, sondern weil ein älterer Junge sich die Zeit nahm, ihnen Witze zuzuflüstern.
Edie lachte über etwas, das Martine gesagt hatte.
Und zum ersten Mal seit zwei Tagen spürte Kathryn Dance, dass ihre düstere Stimmung sich aufhellte.
Travis Brigham, Hamilton Royce, James Chilton... und der Dunkle Ritter - Robert Harper - wichen ein Stück in den Hintergrund zurück, und Dance fing an zu glauben, dass das Leben letztlich wieder in Ordnung kommen würde.
Jon Boling erwies sich als ziemlich gesellig und fügte sich gut ein, obwohl er keinen der Gäste vorher gekannt hatte. Er und Steven, der Computerprogrammierer, hatten viele gemeinsame Themen, und auch Wes nahm angeregt an ihrem Austausch teil.
Edies Problem wurde allseits ausgeklammert, und so drehten die Gespräche sich vornehmlich um aktuelle Ereignisse und politische Fragen. Dance registrierte belustigt, dass die ersten Punkte genau diejenigen waren, über die Chilton geschrieben hatte: die Entsalzungsanlage und die neue Schnellstraße nach Salinas.
Steve, Martine und Edie sprachen sich eindeutig gegen die Entsalzungsanlage aus.
»Ich habe auch kein gutes Gefühl dabei«, sagte Dance.
»Aber wir alle wohnen schon lange hier.«
Ein Blick zu ihren Eltern. »Seid ihr die häufigen Dürren denn nicht leid?«
Martine sagte, sie bezweifle, dass das durch die Entsalzungsanlage gewonnene Wasser überhaupt vor Ort genutzt werden würde. »Die verkaufen es an reiche Städte in Arizona und Nevada, verdienen Milliarden damit, und wir sehen keinen Tropfen.«
Danach diskutierten sie über den Highway. Auch hierzu waren die Meinungen geteilt.
»Für das CBI und das Sheriff's Office wäre eine solche Verbindungsstraße praktisch, weil wir öfter auch nördlich von Salinas zu tun haben«, sagte Dance. »Aber die Schmiergelder sind natürlich ein Problem.«
»Was für Schmiergelder?«, fragte Stuart.
Dance war überrascht, dass alle sie fragend ansahen. Sie erklärte, was sie aus der Lektüre des Chilton Report gelernt hatte: dass dem Blogger einige unsaubere Machenschaften aufgefallen waren.
»Davon wusste ich noch gar nichts«, sagte Martine. »Ich war so damit beschäftigt, alles über die Kreuze am Straßenrand zu lesen, dass ich dem Rest kaum Beachtung geschenkt habe... Aber das hole ich nach, das darfst du mir glauben.« Sie war politisch überaus engagiert. »Ich werde mir das Blog mal ansehen.«
Nach dem Essen bat Dance ihre Tochter, das Keyboard zu holen und eine kurze Vorstellung zu geben.
Alle Anwesenden wechselten ins Wohnzimmer und füllten ihre Gläser nach. Boling machte es sich auf einem tiefen Lehnsessel bequem, und Raye nahm unaufgefordert auf seinen Oberschenkeln Platz. Martine lachte, denn der Briard war etwas größer als ein Schoßhund, aber der Professor bestand darauf, dass der Welpe blieb, wo er war.
Maggie stöpselte das Keyboard ein, setzte sich mit der gebotenen Feierlichkeit einer erfahrenen Solopianistin und spielte vier Stücke aus ihrem Suzuki Buch drei, schlicht
Weitere Kostenlose Bücher