Allwissend
weitere Patienten töten und dann nach Kanada fliehen würde.
Stuart keuchte entsetzt auf, als er den Mann so über seine Frau sprechen hörte.
»Schon in Ordnung, Dad«, flüsterte seine Tochter. »So reden die nun mal.« Wenngleich die Worte auch ihr das Herz brachen.
George Sheedy plädierte klar und verständlich für eine Freilassung ohne Sicherheitsleistung. Er wies darauf hin, dass seine Mandantin nicht vorbestraft und fest in ihrer Gemeinde verwurzelt sei.
Der Richter, ein scharfsichtiger Latino, der Kathryn Dance kannte, stand unter erheblichem Stress, was sie mühelos an seiner Körperhaltung und Mimik ablesen konnte. Wahrscheinlich wollte er mit dem Fall am liebsten gar nichts zu tun haben. Einerseits würde er sich Dance verpflichtet fühlen, einer vernünftigen und hilfsbereiten Polizeibeamtin. Andererseits würde er wissen, dass Harper ein hohes Tier aus der großen Stadt war. Von dem beachtlichen Medieninteresse ganz zu schweigen.
Beide Seiten brachten weitere Argumente vor.
Dance dachte unwillkürlich an die Ereignisse vom Anfang des Monats zurück und ging in Gedanken noch einmal die Fakten rund um den Tod des jungen Beamten durch. Wen hatte sie in der fraglichen Zeit im Krankenhaus gesehen? Wie genau war Juan Miliar gestorben? Wo hatte ihre Mutter sich aufgehalten?
Als sie aufblickte, sah sie, dass Edie sie anstarrte. Dance lächelte matt. Das Gesicht ihrer Mutter war ausdruckslos. Sie wandte sich weder zu Sheedy um.
Am Ende entschied der Richter sich für einen Kompromiss. Er setzte eine Kaution in Höhe von einer halben Million Dollar fest, was bei einem Mord nicht ungewöhnlich und in diesem Fall auch nicht übermäßig problematisch war. Edie und Stuart besaßen zwar keine Reichtümer, aber ein abbezahltes Haus; und da es in Carmel nicht weit vom Strand lag, musste es ungefähr zwei Millionen Dollar wert sein. Sie konnten es als Sicherheit verpfänden.
Harper nahm die Entscheidung stoisch entgegen - das Gesicht ernst, die Haltung aufrecht, aber gelöst. Dance hielt ihn für völlig stressfrei, trotz des Rückschlags. Er erinnerte sie an den Killer in Los Angeles, J. Doe. Einer der Gründe dafür, dass sie diesen Täter so schwer durchschaut hatte, war die Tatsache, dass eine hoch motivierte und auf ihr Ziel konzentrierte Person kaum Skrupel hat, im Dienste ihrer Sache zu lügen, und demzufolge so gut wie keine Unsicherheit erkennen lässt. Das traf eindeutig auch auf Robert Harper zu.
Edie wurde zurück in die Zelle gebracht, und Stuart suchte den Schriftführer auf, um die notwendigen Vorkehrungen für die Kaution zu treffen.
Harper knöpfte sein Jackett zu und ging mit regloser Miene zur Tür. Dance stellte sich ihm in den Weg. »Warum tun Sie das?«
Er musterte sie kühl und erwiderte nichts.
»Sie hätten den Fall in der Zuständigkeit von Monterey County belassen können«, fuhr sie fort. »Weshalb sind Sie extra aus San Francisco hergekommen? Was haben Sie vor?« Sie sprach laut genug, dass die umstehenden Reporter es hören konnten.
»Das werde ich nicht mit Ihnen erörtern«, sagte Harper ruhig.
»Wieso meine Mutter?«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Er ging aus dem Saal und bis hinaus auf die Stufen des Gerichtsgebäudes, wo er stehen blieb und sich an die Medien wandte - denen er anscheinend jede Menge zu sagen hatte.
Dance setzte sich wieder auf eine der harten Bänke, um auf ihre Eltern zu warten.
Zehn Minuten später gesellten George Sheedy und Stuart Dance sich zu ihr.
»Ist alles glattgegangen?«, fragte sie ihren Vater.
»Ja«, antwortete er tonlos.
»Wie bald kommt sie raus?«
Stuart sah Sheedy an. »In höchstens zehn Minuten«, sagte der Anwalt.
»Vielen Dank.« Stuart schüttelte ihm die Hand. Dance nickte ihm dankend zu. Sheedy sagte, er werde nun in seine Kanzlei zurückkehren und sich sofort an die Ausarbeitung einer Verteidigungsstrategie machen.
Nachdem er gegangen war, fragte Kathryn ihren Vater: »Was hat die Polizei aus dem Haus mitgenommen, Dad?«
»Ich weiß es nicht. Die Nachbarin sagte, sie hätten sich offenbar vor allem für die Garage interessiert. Lass uns von hier verschwinden. Ich hasse diesen Ort.«
Sie traten hinaus auf den Flur. Mehrere Reporter sahen Dance und kamen näher. »Agent Dance«, fragte eine Frau, »empfinden Sie es als beunruhigend, dass Ihre Mutter wegen Mordes verhaftet wurde?«
Na, das war ja eine spitzenmäßige Frage. Dance hätte gern eine sarkastische Antwort gegeben, doch sie kannte die oberste Regel im
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