Allwissend
Fahren telefonieren. Das ist meine Regel.«
Dances hochgezogene Augenbraue ermunterte ihn, mit dem Bericht fortzufahren.
»Als ich nach vorn durch die Windschutzscheibe sah, kam er die Böschung entlang. Aus der Richtung da. Er hat mich nicht bemerkt. Sein Gang war irgendwie schlurfend. Und es kam mir so vor, als würde er mit sich selbst reden.«
»Was hat er angehabt?«
»Eines dieser Kapuzenshirts, wie die Kids sie tragen.« Ah, die Kapuze. »Welche Farbe hatte es?« »Das weiß ich nicht mehr.« »Jacke, Hose?«
»Tut mir leid. Ich hab nicht richtig darauf geachtet. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wer er war - ich hatte von dem Kreuz-Kram noch nichts gehört. Mir kam der Kerl nur verdammt seltsam vor. Er hatte dieses Kreuz dabei und ein totes Tier.«
»Ein Tier?«
Ein Nicken. »Ja, ein Eichhörnchen, Murmeltier oder so. Die Kehle war durchgeschnitten.« Er wies mit dem Finger auf seinen eigenen Hals.
Dance hasste jede Art von Tierquälerei. Dennoch blieb ihre Stimme ruhig. »Hatte er es gerade erst getötet?«, fragte sie. »Ich glaube, nicht. Da war kaum Blut.« »Okay. Was ist dann passiert?«
»Dann schaut er die Straße rauf und runter, und als er niemanden sieht, macht er seinen Rucksack auf und...« »Oh, er hatte einen Rucksack?« »Ja, genau.«
»Welche Farbe hatte der?«
»Ah, schwarz, da bin ich mir ziemlich sicher. Und er holt einen Spaten raus, so einen kleinen, wie man ihn zum Camping mitnimmt. Er klappt das Ding auf, gräbt ein Loch und steckt das Kreuz rein. Dann... das ist echt schräg. Er vollführt eine Art Ritual. Er umrundet das Kreuz dreimal, und es sieht aus, als würde er dabei irgendeinen Sprechgesang herunterbeten.«
»Einen Sprechgesang?«
»Ja, genau. Aber nicht laut. Ich kann die Worte nicht hören.« »Und dann?«
»Dann hebt er das Eichhörnchen auf und umrundet das Kreuz fünfmal - ich hab mitgezählt. Erst drei, dann fünf Runden... Vielleicht war das eine Botschaft oder ein Hinweis, aus dem irgendjemand schlau werden könnte.«
Nach Dances Erfahrung neigten seit Sakrileg viele Zeugen dazu, ihre Beobachtungen gleich selbst zu entschlüsseln, anstatt einfach zu schildern, was sie gesehen hatten.
»Wie dem auch sei, er hat wieder seinen Rucksack geöffnet und einen Stein und ein Messer herausgenommen. Mit dem Stein hat er die Klinge geschärft. Dann hat er das Messer über das Eichhörnchen gehalten. Ich dachte, er würde es zerteilen, aber das hat er nicht. Ich sah, wie sich wieder seine Lippen bewegten, und dann hat er den Kadaver in irgendein komisches gelbes Papier gewickelt, wie Pergament, und in den Rucksack gesteckt. Dann schien er noch eine letzte Sache zu sagen, bevor er zurück in die Richtung abgehauen ist, aus der er gekommen war. Mit großen Sprüngen, Sie wissen schon. Wie ein Tier.« »Und was haben Sie dann gemacht?«
»Ich bin weitergefahren und hatte noch ein paar Termine. Als ich wieder ins Büro kam, bin ich online gegangen und habe von dem Jungen gelesen und sein Bild gesehen. Im ersten Moment hab ich mich total erschrocken. Und dann hab ich sofort den Notruf gewählt.«
Dance winkte Michael O'Neil herüber.
»Michael, das ist interessant. Mr. Pfister kann uns sehr weiterhelfen.«
O'Neil nickte ihm dankbar zu.
»Würden Sie Deputy O'Neil noch mal kurz beschreiben, was Sie gesehen haben?«
»Gern.« Pfister fing wieder damit an, dass er angehalten habe, um zu telefonieren. »Der Junge hatte irgendein totes Tier. Ein Eichhörnchen, glaube ich. Erst ist er ohne den Kadaver dreimal im Kreis gelaufen. Dann hat er das Kreuz aufgestellt und es fünfmal umrundet. Dabei hat er vor sich hin geplappert. Das klang unheimlich. Wie eine fremde Sprache.«
»Und dann?«
»Er hat das Eichhörnchen in Pergamentpapier eingewickelt, das Messer darüber gehalten und noch etwas in dieser merkwürdigen Sprache gesagt. Dann ist er gegangen.«
»Interessant«, sagte O'Neil. »Du hast recht, Kathryn.«
Dance nahm ihre Brille mit dem hellen rosafarbenen Gestell ab und putzte sie. Dann tauschte sie sie beiläufig gegen ein Exemplar mit schmucklosen schwarzen Fassungen.
O'Neil erkannte sofort, dass sie ihre Raubtierbrille aufsetzte, und wich zurück. Dance trat näher an Pfister heran, bis tief in seinen persönlichen Proximalbereich. Sie konnte sehen, dass der Mann sich sofort bedroht fühlte. Gut.
»So, Ken, ich weiß, dass Sie lügen. Und Sie müssen mir nun die Wahrheit sagen.«
»Ich lüge?«, fragte er schockiert.
»Ja, genau.«
Pfister hatte sich
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