Almas Baby
Isolde Wolters unterhalten und ihr verschiedene Rückfragen gestellt hatte, sprang der Funke über. Das war’s. Ein paar kurze Recherchen noch und dann stürmte er rüber ins Büro seines Chefs, wo Hammer-Charly und Dr. Zarah Silbermann sich eigentlich gerade zum Aufbruch entschlossen hatten.
„Jetzt haben wir sie“, triumphierte Volker Lauer und schwenkte ein Blatt mit seinen Notizen. „Das ist der Hinweis, auf den wir lange gewartet haben: Alma Behrend und das Baby befinden sich in der Kleingartenanlage am Fredenbaum. Ich habe sogar die Nummer der Laube.“
„Und wieso bist du so sicher?“ Charly zog sich zwar bereits das Sakko über, schien aber immer noch skeptisch. Sein Vize ließ ihn nicht länger im Unklaren: „Weil eine Nachbarin angerufen hat, die schon den ganzen Tag immer mal wieder ein Baby weinen gehört hat. Und das in einer Laube, die seit Jahren praktisch nicht mehr benutzt wird. Die gesamte Parzelle soll verwahrlost sein und den anderen Laubenpiepern ein Dorn im Auge. Sie waren deswegen schon beim Vorstand vorstellig geworden.“
„Na und? Nur, weil ein paar pingeligen Kleingärtner der liebe Nachbar nicht gefällt, glaubst du gleich, dass der Mann auch eine Entführerin und ihr Opfer in seinen vier Wänden versteckt?“ grummelte Charly. Die Angst, erneut enttäuscht zu werden, hielt den Hauptkommissar davon ab, in die gleiche Euphorie zu verfallen wie sein Vize. Der aber grinste plötzlich wie das sprichwörtliche Honigkuchenpferd übers ganze Gesicht: „Nein, nein, Charly. Der Clou kommt ja erst noch. Laube und Parzelle gehören nämlich Leonie und Walter Mast.“
„Ja, und was willst du mir damit sagen?“ Volker Lauer konnte es sich nicht verkneifen, eine dramaturgisch geschickt platzierte Pause einzulegen, bevor er seinen Chef aufklärte: „Ich nehme an, du weißt nicht, wer die Eheleute sind. Aber Isolde Wolters wusste das. Es handelt sich dabei um die Eltern von Alma Behrend. Und die Wolters hat Alma bereits gestern kurz am Fenster der Laube gesehen und sich nichts dabei gedacht, bis sie ihr Bild in der Zeitung sah. Sie kam erst am Abend zum Lesen, nachdem sie den ganzen Tag im Garten geackert hatte. Reicht das für einen hinreichenden Verdacht?“
Jetzt war auch Hammer-Charly wie elektrisiert. „Auf geht’s!“ Er stürmte zur Tür, zerrte Zarah mit sich hinaus und rief im Vorbeigehen Corinna Hase zu, vorsichtshalber ein mobiles Einsatzkommando der Bereitschaftspolizei in die Kleingartenanlage zu beordern. Auch Häschen hatte noch im Präsidium ausgeharrt, obwohl die langjährige Sekretärin im K11 eigentlich schon längst Feierabend gehabt hätte. Aber ein Baby, das kurz nach der Geburt aus einem Krankenhaus verschwindet, lässt niemanden kalt. Sei er auch noch so berufserfahren und damit an menschliche Abgründe gewöhnt.
„Warum habt ihr denn nicht bei Almas Eltern recherchiert. Dann wärt ihr doch vermutlich schon früher darauf gestoßen, dass sie eine Kleingartenparzelle haben. Also das ideale Versteck für ihre Tochter?“, fragte Dr. Silbermann den Hauptkommissar auf der Fahrt zum Einsatzort in Richtung Nordstadt. „Zarah, ich bitte dich“, stöhnte Hammer-Charly, „hältst du uns für blutige Anfänger? Natürlich haben wir bei der Familie angefragt, aber, dass Walter Mast uns nicht sofort die Tür gewiesen hat, lag wohl nur an unserer Autorität als Polizeibeamte. Doch nicht einmal die veranlasste ihn zu wirklich konstruktiver Mitarbeit. Die Suche nach dem Miststück - als solches bezeichnete er seine Tochter - lasse ihn völlig kalt, ließ er uns wissen. Er selbst hoffe, die Schlampe nie mehr wieder sehen zu müssen.“
„Ein emotionaler Krüppel“, urteilte die Psychiaterin. „Aber einer, der es schafft, seine gesamte Umgebung zu versklaven,“ ergänzte Charly. „Seine Ehefrau saß still in einer Ecke. Nur ein einziges Mal schien es, als wollte sie etwas sagen. Aber ein Blick von ihrem Ehemann genügte, um sie sofort verstummen zu lassen. Er setzte sich daraufhin triumphierend die Schnapsflasche an den Hals. Ganz so, als wollte er uns beweisen, dass er in seiner Wohnung tun und lassen könne, was er wolle - auch saufen um 10 Uhr morgens und in Gegenwart der Polizei.“
„Genau das ist es, was Menschen wie er beweisen wollen,“ erklärte Zarah, „und in ihrer Umgebung hinterlassen sie dabei ein emotionales Vakuum. Wer wie Alma in dieser sozialen Kälte aufwächst, hat kaum eine Chance, sich im Leben normal zu entwickeln. Ihnen fehlt der schützende
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