Alpengrollen: Kriminalroman
noch zwei Tipps, Fräulein. Und weil Sie offensichtlich neu hier drinnen sind, gebe ich die Ihnen sogar kostenlos.«
»Na, da bin ich ja gespannt.«
»Dürfen Sie auch. Nummer eins. Wenn Sie ein Bier servieren, stellen Sie es vorsichtig hin. Sonst schwappt es am Ende über. Und dann müssen Sie bloß wieder extra laufen. Wegen einem Lappen. Nummer zwei. Lassen Sie in Zukunft Ihre Finger vom Rand des Glases weg. Das obere Drittel gehört dem Gast. Oder soll der die ekelhaften Bazillen, die Sie von der Toilette oder von Ihrem Wechselgeld an den Fingern haben, etwa mittrinken?« Er bedachte sie mit einem langen, fragenden Blick aus seinen stahlblauen Augen.
»Sie haben natürlich recht. Entschuldigen Sie.« Die junge Frau musste sich schwer zusammenreißen, damit ihr nicht postwendend die nächste spitze Bemerkung herausrutschte. Zum Beispiel, dass sie sich bestimmt öfter die Hände wasche als er. Aber schließlich hatte sie ja nicht ewig Zeit, mit diesem renitenten Menschen hier herumzustreiten. Also seufzte sie nur kurz resigniert auf, verdrehte die Augen und entfernte sich wieder.
»Prost, die Herrschaften!« Max hob sein Glas und stieß mit den Japanern an, die inzwischen damit begonnen hatten, alles in dem großen, aber trotzdem urgemütlichen Gastraum zu fotografieren: vom Schirmständer über die üppige Faschingsdekoration bis zu den beleuchteten Hinweisschildern für den Notausgang. Auch der aschblonde Exkommissar blieb nicht verschont. Jeder von ihnen wollte sich mit ihm an der Seite ablichten lassen. Natürlich jedes Mal mit erhobenem Glas. Und mit einem breiten »Cheese« im Gesicht.
Nach der dritten, gut eingeschenkten und sehr zuvorkommend kredenzten Halben bezahlte er und ging. Ich weiß schon, warum ich inzwischen mein Bier lieber bei mir im Viertel trinke, dachte er, als er durch die Tür in die winterlich frühe Dunkelheit trat. Hier in der Stadt ist es einfach zu teuer geworden. Und dann bescheißen sie dich noch beim Einschenken. Nicht zu fassen. Das hat es doch früher nicht gegeben. Höchstens auf der Wiesn. Aber da ist man es ja seit jeher gewohnt. Und dann die vielen betrunkenen Deppen, die hier schon um halb sechs überall herumgeistern. Von wegen gemütliche Wirtshaustradition. Das war einmal und ist nicht mehr.
Das Lokal, das meine Eltern in Sendling hatten, das war halt noch eine echte Münchener Gaststätte. Da bekam jeder noch etwas Anständiges aufgetischt für sein Geld. Nicht diesen modernen Einheitsfraß. Und einen herben Spruch von der Bedienung gab es höchstens, wenn einer nicht mehr stehen konnte. Das waren noch Zeiten. Die kommen sicher nicht wieder. Genauso wenig wie die Mama und der Papa. Gott hab sie selig.
Genau betrachtet, gab es heute für ihn nur eine Wirtschaft in München, in der es immer noch so schön war wie damals. Und das war ›Monikas kleine Kneipe‹. Seine Freundin Monika Schindler hatte sie vor ein paar Jahren unten in Thalkirchen aufgemacht. Am Rande der Isarauen. Nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Ein winziger, dunkel getäfelter Gastraum, aber ein paar sehr nette Stammgäste und ein anständiges Bier. Ab und zu gab es sogar Livemusik. Und hervorragend kochen konnte Monika obendrein. Was wollte man mehr? Seit seiner Frühpensionierung vor zwei Jahren half Max ihr manchmal beim Ausschank oder beim Servieren. Oder führte das Geschäft alleine, während sie mit ihren Freundinnen im Urlaub weilte. Schließlich kannte er das Prozedere bestens von Kindheit an.
Max und Monika. Was für ein Gespann. Offiziell waren sie ja nicht wirklich zusammen. Sie fuhren meist separat in die Ferien. Jeder von ihnen lebte sein eigenes Leben. Manchmal sahen sie sich wochenlang nicht. Doch dann verbrachten sie wieder tagelang jede Minute zusammen. Bis sie nach einer Weile wieder getrennte Wege gingen. Ihre Freunde und Bekannten schüttelten seit Jahren nur den Kopf über dieses eigenwillige Hin und Her.
Draußen fing es gerade wieder an zu schneien. Es war einer dieser nasskalten Januartage, knapp oberhalb der Nullgradgrenze, an denen man am besten erst gar nicht vor die Tür ging. Überall stieg man bis hoch zu den Knöcheln in grauem Matsch und braunem Dreck herum. Letztes Jahr war er um diese Zeit auf den Malediven gewesen. Tauchen. Sonnen. Baden. Herrlich! Seit er von Tante Isolde, der Schwester seiner verstorbenen Mutter, vor zwei Jahren ihre hübsche Zweizimmerwohnung und einen ansehnlichen Geldbetrag geerbt hatte, konnte er sich solch einen Luxus ab und zu
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