Alpengrollen: Kriminalroman
leisten. Und tat es auch. Voller Dankbarkeit.
Gleich morgen zum Beispiel würde er für eine Woche zum Skifahren in die Berge verreisen. Und zum Skirennengucken. Nach Kitzbühel. Für einen Tagesausflug war er schon oft dort gewesen, aber übernachtet hatte er noch nie. Und beim Hahnenkammrennen, dem wohl spektakulärsten und gefährlichsten Abfahrtslauf, den der Skiweltcup zu bieten hatte, war er auch noch nie vor Ort dabei gewesen. Damit er das diesmal auf keinen Fall verpasste, hatte er sein Zimmer in einem exklusiven Wellnesshotel vorsorglich bereits im Oktober fest gebucht.
Der eisige Wind peitschte ihm riesige, wassergetränkte Schneeflocken ins Gesicht. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, um überhaupt noch erkennen zu können, wo er lang musste.
Ursprünglich hatte er vorgehabt, zu Fuß nach Hause zu gehen. Doch das war ihm jetzt eindeutig zu ungemütlich. Also nichts wie ab, quer über den Viktualienmarkt zum Bus. Und wenn er dann später in Thalkirchen angekommen war, würde er noch kurz bei Monika reinschauen. Ihre Kneipe lag praktischerweise genau auf dem Weg von der Endhaltestelle zu ihm nach Hause.
Auf dem Markt hatten die Obst- und Gemüsestände wie jeden Sonntag geschlossen. Max hatte für Gemüse und Obst sowieso noch nie allzu viel übrig. Erklärtes Objekt seiner Begierde war schon immer die Bratwurst. Schon zu seinen Dienstzeiten konnten er und sein alter Freund und Exkollege Franz Wurmdobler so gut wie keinen Tag an dem kleinen, grünen Holzhäuschen beim Eingang des bunten Schlemmerparadieses vorbeigehen, ohne sich eine Rote vom Grill zu holen. Da dort heute ebenfalls geschlossen war, marschierte er mit einem kurzen Seufzer des Bedauerns auf den Lippen direkt weiter zur Haltestelle.
Der Bus kam nicht. Steckte wohl irgendwo fest. Wieder mal typisch. Aber auch kein Wunder bei dem Sauwetter. Egal, er würde schon irgendwann eintrudeln. Während er weiter so dastand und wartete, tauchte auf einmal ein altes Kräuterweiblein mit von Falten durchfurchtem Gesicht vor ihm auf.
»Da, schauen Sie her, junger Mann«, kam es krächzend aus ihrem zahnlosen Mund. »Frischer Salbei. Der ist gut gegen Erkältung. Nur ein Euro das Säckchen.«
»Na gut. Wenn Sie meinen.« Max kaufte ihr zwei Säckchen ab. Er wusste zwar nicht, was er damit sollte, doch sie sah so aus, als könnte sie jeden Cent brauchen. Außerdem, wer weiß? Im Moment fühlte er sich zwar ziemlich gesund. Aber was nicht war, konnte ja noch werden. Der Winter zog sich schließlich noch in die Länge. Seit ein paar Jahren kam er ihm sogar jedes Jahr noch endloser vor. Drohte da etwa bald eine Eiszeit? Dabei redeten doch alle überall immer nur von globaler Erwärmung.
Eine Viertelstunde später drückten die dicken Reifen des 52ers den Matsch auf der Straße vor ihm platt. Endlich. Er stieg ein und stempelte seine Streifenkarte ab. Dabei stießen ihm wieder einmal die seiner Meinung nach viel zu hohen Fahrpreise auf. So viel Geld für so viel Verspätung! Egal. Ein Taxi wäre noch teurer. Und im Sommer würde er sowieso wieder mit dem Radl fahren. Er setzte sich ganz hinten im Wagen auf den letzten freien Platz.
Als sie die Isar überquerten, kam er ins Schwärmen. Wo kann es wohl schöner sein als in meinem geliebten München, sogar an einem derart hässlichen Wintertag? Zufrieden lächelnd, blickte er über die verschneite Flusslandschaft Richtung Süden. Würde man sich die nächste Brücke und die Häuserreihen links und rechts des Ufers wegdenken, könnte man gerade genauso gut durch die weite Eislandschaft Sibiriens fahren. An der Endhaltestelle stieg er aus und marschierte das kurze Stück über die rot lackierte Holzbrücke nach Thalkirchen hinüber. Der Weg führte ihn direkt am Zoo vorbei. Seine Mutter hatte den Geruch nach Dung und Heu, der von den Gehegen aus bis auf die Straße herüberwehte, immer gehasst. Er dagegen mochte ihn. Malte sich jedes Mal, wenn er hier entlangging, aus, dass es in den Steppen Tansanias oder Kenias genauso riechen müsse. Ein Stück Afrika im Süden von München. Das war der Tierpark für ihn schon als Kind gewesen. Und er war es heute noch. Sibirien, Afrika und Bayern. Fast die ganze Welt in einer Stadt. Wo gab es das denn sonst? Bestimmt nirgends. Einfach genial.
3
Zehn Minuten später öffnete er, bis auf die Knochen durchnässt, die Tür zu ›Monikas kleiner Kneipe‹ und trat ein.
»Ja, Max! Hallo, mein Lieber!« Monika lachte ihn herzlich an und entblößte dabei zwei Reihen
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