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Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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Stellen auf dem Fleisch. Oh je. Auch das war ihm egal. Er biss in die Semmel, die fettig geworden war durch seine Finger, die beim Auspacken des Tiers ihr Fett abbekommen hatten. Dann die ersten Fasern zwischen den Zähnen. Gut. Fanta trinken hinterher. Oder Apfelschorle?
    Das Essen machte seine Beine träge und weckte seine Sehnsucht nach Schlaf. Allein der Durst nach Limonade trieb ihn auf. Er tauchte seine fettigen Handflächen in den Staub der Stufen, den die Menschen an ihren Schuhen von der Straße hergetragen hatten. Spuren von Hundekot, ausgespuckten Kaugummis, Teerresten von zertretenen Kippen – alles beim Aufstehen an die Fingerkuppen geschmiert.
    Da war noch ein dunkelhäutiger Mensch, ein Hip-Hopper oder angezogen wie ein Hip-Hopper, unverdächtig der Terrorgefahr, meldete Birnes Instinkt, und doch in der Zange. Ein Bahnbeamter stand vor ihm und redete auf ihn ein, drückte Tränen der Verzweiflung aus ihm heraus.
    »Sie dürfen das nicht, das wussten Sie, überall hängen Uhren«, sagte der Bahnbeamte in seiner dunkelblauen Uniform. Er hatte ein langes, alkohol- oder ausschlagrotes Gesicht, einen Buckel und grau meliertes, spärlicher werdendes, dafür kurz geschorenes Haar. Er bedrängte einen jungen Menschen wegen seiner Hautfarbe und vielleicht wegen seiner Kleidung. Er riss ein Auge, das er gern hätte zudrücken können, demonstrativ weit auf. Irgendeine willkürliche Uhrzeitscheiße sollte nun einem Jugendlichen zum Verhängnis werden. Ein paar verhängnisvolle Minuten würden dem Armen Löcher ins Portemonnaie reißen, unangenehme, hässliche, tödliche. Der Bahnbeamte stahl einem anderen Zeit, die ihm selbst bezahlt wurde. Birne packte die Wut. So viel sinnlose Ungerechtigkeit. Es war nicht seine Natur, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Er wäre auch hier lieber nicht Zeuge geworden. Aber jetzt musste er eingreifen, sogar sein Inkognito riskieren. Dieses Unrecht durfte nicht zugelassen werden!
    Zäh erhob er sich und schwankte, zusammengeknüllte Servietten und Zellophantüten in der Hand. Das Schwanken hielt er für normal. Seinem Blut musste er Zeit lassen, seine Bahnen durch den Körper zu finden und quick zu fließen. Doch nach zwei Schritten merkte er, dass das Schwanken sich nicht kontrollieren ließ, dass es begann, ein Eigenleben zu führen und Birnes Leib nach Lust und Laune in der Nachmittagssonne auf dem Bahnhofvorplatz zu schwenken. Birne wollte noch »Halt!« schreien, da fiel er schon zu Boden, sah mit Geschwindigkeit das Pflaster näher kommen und verschwimmen. Schwarz. Kein Gedanke mehr, nur Ozean.

     
    Die Menschen liefen zusammen, langsamer als üblich. Ein Kreislaufkollaps, normal zurzeit, gerade wenn der Depp sich auch noch so ummantelte. Die Servietten waren Birne aus Tüte und Hand gerutscht und trieben ein wenig hin und her im plötzlich aufkommenden Lüftchen, keine Spur von Wegfliegen. Unter den Jugendlichen auf der Treppe war ein Mädchen, das sozial eingestellt war und helfen wollte. Sie lief zu Birne. Der dunkle Gockelbrater beugte sich aus seinem Wagen, um zu sehen, was da los war, und geriet in Sorge, dass man ihn in Verbindung mit der Ohnmacht brächte und somit sein ohnehin schon dürres Geschäft vollends verdorben wäre. Der Bahnbeamte hielt inne beim Fertigmachen des Schwarzfahrers und wandte sich in Richtung des gefallenen Birne. Als sein Opfer die Gelegenheit zur Flucht nutzen wollte, packte er ihn windeseilig mit den Worten: »Halt, Freundchen!« Wie um Birne keinen Triumph in der Ohnmacht zu gönnen, ließ er ihn liegen und führte den anderen ab, um ihm den Bescheid auszustellen.
    Noch bevor das soziale Mädchen, das dünn war, Zöpfe trug und durchaus hübsch war, sich im Zentrum des sich müde bildenden Gafferkreises über Birne beugen und ihm Erste Hilfe zukommen lassen konnte, war schlagartig wie aus dem Nichts die einsame Polizistin von vorhin am Mann und veranlasste knapp das Nötige: »Abtransport.«

2. Hospital
    Als Birne erwachte, ärgerte er sich, weil er sofort wusste, was das, in dem er lag, war: ein Zimmer im Zentralklinikum. Er sah die Tapete, ein Fasermuster, es sollte gut und modern ausschauen mit dieser leicht grünen Farbe. Vor dem Fenster konnte er in ein paar 100 Metern Entfernung den Bismarckturm von Steppach sehen. Birne war traurig, es hatte ihn umgehauen, er hatte sich und seinem Körper eine Ladung zu viel zugemutet, das hatte er nun davon: Er hatte seine Grenzen entdeckt.
    Das war noch nie vorgekommen – Birne

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