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Alpenlust

Alpenlust

Titel: Alpenlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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immer eine Barriere gewesen, er konnte ihr nicht sagen, was er wirklich dachte, weil er ahnte, dass sie es nicht verstand oder sie ihn nach einem ehrlichen Gedanken nicht mehr ernst nehmen würde, weil ihre Welt einfacher funktionierte. In ihrer Welt genügte es, sich irgendwohin zu setzen und Dostojewski zu lesen. Dostojewski machte interessant, Dostojewski spülte den Lack der Dummheit weg. Dachte sie. In Birnes Welt genügte das aber nicht. Seine Welt, in der er gefesselt auf einem Bett lag, mit einer Frau, in die er, da war er sich absolut sicher, verliebt war. Sie schwiegen, sie versuchten, kein Geräusch zu erzeugen, denn sie lauschten.
    Über ihnen war Streit ausgebrochen, zwei Männer, Ben und noch einer. Er hatte einen Komplizen. Etwas war schiefgegangen, sie wollten Nina entführen. Nina würde ihnen keiner übel nehmen, wenn sie sie heil wieder laufen ließen. Jetzt war aber der andere dabei. Birne, der Bulle. Wieso war der dabei? Er war eine Ersatzgeisel, um durchzukommen, den hätte man erschießen können, war nicht nötig gewesen, auch gut, aber nun hatten sie ihn am Hals, einen Fresser mehr in der Familie. Sollten sie ihn gleich umlegen? Laufen lassen konnten sie ihn nicht. Irgendjemand würde bestimmt nach ihm suchen. Knietiefe Scheiße.
    Birne und Nina verstanden nichts von dem, was gesprochen wurde, dazu waren die beiden Männer zu leise, obwohl sie einander anschrien. Aber in dem Streit hätte es um Dinge wie diese gehen können. Sie hätten ohne Weiteres gerade Birnes Schicksal aushandeln können. Wie Gott. Gespenstisch.
    Nina hatte Birne Hoffnung gemacht: Sie hatte noch ihr Handy, es war ausgeschaltet und nach wie vor unentdeckt. Sie würden warten, bis der andere weg war oder sie wüssten, was als Nächstes passierte. Birne erinnerte sich daran, dass es geheißen hatte, die Frauen im Circus Maximus dürften angeblich keine Handys besitzen – also war das Quatsch gewesen.
    Die Stimmen verstummten. Banges Warten. Schritte. Ben kam rein. Murmelte: »Ihr Arschlöcher«, warf die sich wehrende Nina auf seine Schulter und ging raus. »Ich will nichts hören, ihr Arschlöcher«, sagte er dabei zu Birne, der dann allein war und voller Furcht. Ihm wurde bewusst, wie verloren sie hier waren.
    Seine Hände hatte er die ganze Zeit auf dem Rücken, seine Arme waren ihm davon eingeschlafen, das tat weh. Weh taten auch die Ohrfeigen, die er bekommen hatte und die Lage, in der sie sich befanden. Er versuchte zu hören, was da oben mit den Männern und Nina passierte. Da war aber nichts. Waren sie weggefahren? Hatten sie ihn allein gelassen? Wäre durchaus eine Lösung. Es könnte sein, dass irgendwann einer auf die Idee kam, nach ihm hier im Wald zu suchen und ihn dann entdeckte, bevor er verhungerte oder verdurstete. Oder es kam niemand und sie fanden seine Leiche nach Wochen, zum Beispiel ein Spaziergänger mit einem Hund, der dann aufgeregt hechelte und bellend vor der Hütte stand und unbedingt reinwollte. Sein Herrchen oder sein Frauchen würde daraufhin nachgeben und den Hund losstürmen lassen. Er oder sie käme hintendrein in den Keller, wo das Tierchen stehen würde, an etwas knabbernd, sagen wir, Birnes Backe. Eklig – das Tier wäre dann nicht mehr rein, nachdem es an Menschenfleisch dran war, aber dem Tier ist das Tier halt nicht auszutreiben, auch nicht mit menschlicher Liebe, was will man machen? Birne wäre sowieso machtlos, er würde zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich an drei Leinen von sechs starken Männern in ein kühles Grab versenkt werden. Trotz dieser schlechten Aussichten hatte Birne Hoffnung, dass diese Geschichte nicht so schlecht ausgehen würde, dass er am Ende in den Armen schöner Frauen liegen und seine Todesangst in diesen Stunden verlachen würde.
    Er hörte Reifen auf dem Kies. Jemand fuhr weg. War er jetzt wirklich allein?
    Dann Schritte im Haus. Kam sein Henker?
    Die Tür ging auf. Für das der Helligkeit entwöhnte Auge war es eine große dunkle Masse. Ben und auf seiner Schulter Nina. Sie wehrte sich nicht, ließ sich regungslos tragen und auf das Bett neben Birne schmeißen. Ben sagte nichts, er brummte, der alte Bär, vor lauter schlechtem Gewissen. Das Brummen bedeutete: Bald bist du dran, wenn ich mich nicht mehr zu schlecht fühle.
    Nina zuckte unter Krämpfen. Sie weinte. Die Tür schloss sich hinter Ben. Sie waren allein.
    Birne fragte: »Was war los? Ist alles in Ordnung?«
    »Gar nichts ist in Ordnung, ihr seid alle böse«, bekam er zur Antwort und

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