Alphavampir
räusperte sich Nanouk. Sie begann zögerlich: «Vielleicht ist Kristobal ... nicht verliebt ... in mich.»
«Oh, das wage ich zu bezweifeln.» Tala kicherte hinter vorgehaltener Hand wie ein Backfisch. «Wenn er dich ansieht, macht er den Eindruck, als würde er dich am liebsten auf der Stelle verschlingen, um dich immer bei sich zu haben.»
«Das klingt eher nach einem Werwolf. Die dunklen Lords und Ladies verhalten sich anders. Kristobal hat mir einmal gesagt, dass Vampire taktieren.» Nanouk überlegte kurz, ob sie wirklich aussprechen sollte, was ihr durch den Kopf ging, aber ihr Leben hing schließlich davon ab, dass der wahre Täter gefunden wurde. «Vielleicht ist seine Zuneigung falsch und er wollte Claw damit aufwiegeln, um zu erreichen, dass unser Alpha die Dark Defence zerschlägt.»
«Glaubst du nicht, dass Kristobal die Eier in der Hose ...», Tala hielt sich die Hand vor den Mund. «Entschuldigung. Bist du nicht auch der Meinung, er wäre so selbstsicher, das Bündnis einfach aufzulösen?»
«Für die Illusionisten ist alles ein Spiel. Möglicherweise bereitet es ihm einen diabolischen Spaß, eine Närrin aus mir zu machen und Claw zu manipulieren.» Mit den Fingerspitzen kraulte Nanouk ihre Kopfhaut. «Damit würde er beweisen, dass Werwölfe dumm sind. Dass er keine hohe Meinung von uns hat, machte er gleich zu Anfang klar.»
«Nein, das kann ich mir nicht vorstellen», sagte Tala im Brustton der Überzeugung. «Ich habe das Feuer in seinen Augen gesehen, die Luft flirrt zwischen euch. Ihr seid verliebt. Beide!»
«Liebe hat auch negative Seiten.» Nanouk ärgerte sich darüber, dass sie schneller gesprochen als nachgedacht hatte. Deshalb entschied sie, über Rufus und nicht weiter über sich zu reden. «Nimm nur Rufus. Er hat Adamo nach kurzer Zeit so stark ins Herz geschlossen, dass seine Trauer ihn zu zerstören droht. Ich weiß, wovon ich rede.»
Talas Stimme klang mit einem Mal butterweich. «Hast du schon einmal so sehr getrauert?»
«Nein.» Was war sie heute nur für ein Plappermaul! Überraschenderweise verspürte Nanouk den inneren Drang, herauszulassen, was sie ihr Leben lang geheim gehalten hatte. Eine Katharsis vor dem Tod. «Aber meine Mom.»
Durch die Gitterstäbe hindurch legte Tala eine Hand auf die ihre. Sie bedrängte Nanouk nicht, fortzufahren, sondern wartete geduldig.
Nanouk tauchte in eine Lethargie ab, die es ihr ermöglichte, den ganzen Dreck, der wie Ruß ihre Seele schwarz färbte, abzuwaschen. Mit jedem Wort floss er aus ihr heraus: «Ich wuchs auf den Buffin-Inseln in Iqaluit auf. Die meisten Familien im Nunavat Territorium lebten vom Fischfang. So auch wir.» Sie holte tief Luft. Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge, die sie lange verdrängt hatte. Mit ihnen kehrte der unsagbare Schmerz zurück. «Mein Vater war ein beinharter Kerl. Er fuhr bei Wind und Wetter aufs Meer hinaus. Die jungen Fischer sahen ein Vorbild in ihm. Eines Tages kehrte er nicht zurück.»
Tala sog scharf die Luft zwischen ihren Zähnen ein.
«Seine Leiche wurde nie gefunden. Das Meer hat ihn einfach verschluckt.» Wie aus weiter Ferne hörte Nanouk sich erzählen. «Meine Mutter ist nie über seinen Tod hinweggekommen. Die Trauer fraß sie innerlich auf. Schon damals kümmerte sich mehr meine Tante um mich als meine Mom.»
«Du warst sicher ihr Hoffnungsschimmer, auch wenn sie dir das nicht mitteilen konnte.»
«Sie nahm nichts mehr um sich herum wahr. Meine Mom vergaß, zu leben, sie vergaß mich.» Ihre Eingeweide krampften sich zusammen. Die Narbe, die Nanouks Herz seitdem trug, riss wieder auf. Sie weinte nicht, innerlich jedoch flossen Tränen aus Blut aus der Wunde. «Ich fand sie eines morgens in der Hütte, in der mein Dad alles, was er zum Fischen brauchte, aufbewahrt hatte. Mom hatte sich erhängt.»
«Nein!», schrie Tala entsetzt auf und fügte leiser hinzu: «Sie hat deinen Vater sehr geliebt.»
Nanouk schnaubte. «Ja, das hat sie, aber mich nicht. Damals war ich noch ein Kind. Sie ließ mich zurück, weil mein Dad ihr wichtiger war. Ich fühlte mich wie ein Welpe, den man am Highway ausgesetzt hat.» Und sie schwor sich, niemals so stark zu lieben, wie ihre Mutter ihren Vater ... und sie ihre Mutter. «Liebe kann zerstörerisch sein.»
«Aber auch heilen. Die Zuneigung des Rudels wird Rufus helfen zu genesen, da bin ich mir sicher.»
Nanouk lächelte milde. Natürlich wusste sie, wie nahe Tala und Rufus sich standen. Er hatte sogar sein eigenes Leben für sie
Weitere Kostenlose Bücher