Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Parteibeerdigung. Aber wir gehen hin und werden uns das mal aus einigem Abstand ansehen.“
Sebastian beeilte sich, um rechtzeitig auf dem Friedhof zu sein. Er wechselte zu Hause die staubigen Arbeitsklamotten gegen Hemd, Hose und Pullover, die hohen Arbeitsschuhe gegen grüne Schweinslederhalbschuhe und traf sich mit Hans-Peter vor dem Friedhof neben der Kirche.
Es war ein warmer Tag unter einem hellgrauen Himmel, gegen den sich die verschiedenen Grünschattierungen der Bäume auf dem Friedhof klar abhoben. Sie gingen den getragenen Klängen einer Blaskapelle nach. „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin...“ intonierten die Bläser. Die beiden Freunde hielten sich abseits hinter einigen Buchsbaumstauden. Schließlich war das ja ein Stasibegräbnis, da blieb man besser im Hintergrund. Uniformen waren nicht auszumachen. Die Kirchenglocken schwiegen. Zu erkennen waren nur rund zwanzig Zivilisten, die dort zusammenstanden und der bekannten Trauermusik lauschten, mit der Staat und Partei ihre verblichenen Helden ehrten.
Danach drei knappe Ansprachen, die aus der Entfernung nicht zu verstehen waren. Dann strebte die Versammlung auseinander, einige gingen rasch davon, andere standen noch gruppenweise beisammen. Sebastian und Hans-Peter kannten die Leute nicht und zogen sich zurück. Stasi-Obristen wich man besser aus. Bald hörten sie auch die EMW-Limousinen starten, die an der Straße und in der Friedhofseinfahrt gestanden hatten.
„Die hatten es aber verdammt eilig“, stellte Hans-Peter fest.
„Einige rannten ja förmlich weg“, bestätigte Sebastian.
„Na, was denkst denn du“, sagte Hans-Peter und grinste, „die müssen doch Klassenfeinde und Agenten jagen. Weg ist weg, tot ist tot, da lassen die sich nicht lange aufhalten.“ Er blieb plötzlich stehen, als sie auf dem Bürgersteig die Ilsestraße entlang gingen. „Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin“, sagte er.
„Ja“, stimmte Sebastian zu, „aber welche Opfer eigentlich? Doch bestimmt keine bei ‘nem Autounfall.“
Hans-Peter lachte. „Nee, es geht ja um unsterbliche Opfer.“ Beide gingen weiter.
„Die haben mächtig Dreck am Stecken“, sagte Sebastian.
„Na, ein Staatsbegräbnis war’s eben nicht.“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Dafür war das Opfer doch nicht wichtig genug. Wer weiß denn schon von dieser Beerdigung? So wie das ablief, wirst du in den Zeitungen nichts finden. Wer sich mit der Stasi einläßt muß halt mit allem rechnen.“
Beide warteten schließlich die Straßenquerung einer winzigen Kleinbahnlok ab, die aus hohem Schornstein weißgraue Dampfwolken in die Luft stieß und wie eine Spielzeugbahn mit lautem Gebimmel eine Reihe kleiner Kipploren voller grünlicher bis bläulicher Tonklumpen hinter sich her zog. Die Ladung wurde dann auch gleich in die Tonbunker der Ziegelei direkt neben der Straße gekippt. Das erledigte der Lokführer selbst mit einer langen Eisenstange, die er als Hebel einsetzte.
35.
Sebastian und Hans-Peter hatten sich am nächsten Nachmittag bei Totila Kunzmann in dessen Zimmer oben im Pfarrhaus verabredet, um die gemeinsame Fahrt nach Berlin zu vereinbaren. Alle drei saßen um den runden Tisch in Totilas Zimmer.
„Ich soll nun also dort mitmachen“, sagte der, ein wenig nachdenklich geworden.
„Das war doch schon ausgemacht, denke ich“, und Sebastian sah Totila über den Tisch hinweg an.
„Ja, ja, schon“, bestätigte der. „Ist doch aber Spionage, oder?“
„Ein doofes Wort“, sagte Sebastian kopfschüttelnd. „Nun nenn’s auch noch schmutzig, dann haben wir alles zusammen.“
„Ist es das nicht?“
„Quatsch! Du mußt ja nicht mitmachen, wenn du nicht willst.“
„Das meine ich gar nicht, aber für mich ist das alles ganz neu und reden kann ich ja mit niemandem darüber.“
„Das geht uns aber allen so“, erklärte Hans-Peter.
„Das weiß ich ja“, beschwichtigte Totila. „Mein Vater weiß davon natürlich nichts.“
„Na, unsere Alten doch auch nicht“, sagte Hans-Peter.
„Hätte dein Vater denn was dagegen?“ wollte Sebastian wissen.
Totila hob die Schultern. „Weiß ich nicht, kann ich nicht sagen. Das hier ist ja eine ganz andere Dimension … Er kannte so Leute in Belzig, solche wie euch, das schon, natürlich als Pfarrer. Aber wißt ihr“, sagte er nachdenklich, „den Rest hat mir dieser Rausschmiß gegeben, das muß ich schon sagen, dieses Theater da in Senftenberg.“
„Genau wie bei mir. Du bist rausgeflogen, ich gar nicht erst
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