Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
so arbeiteten sie sich durch’s Maisfeld voran bis dicht an den Drahtzaun.
„Da hinten“, und Sebastian wies mit der Hand in den Dunst auf die undeutlichen Umrisse einer Splitterschutzbox, „die werden wir uns vornehmen“, sagte er.
Sie gingen vorsichtig am Zaun entlang. Schließlich kauerten sie sich ins Maisfeld, um den russischen Posten abzuwarten, der dann auch bald wie eine Erscheinung aus dem Nichts auftauchte, in einem fast bodenlangen Mantel, den Karabiner auf dem Rücken. Die beiden im Maisfeld beobachteten ihn. Er ging innen am Zaun entlang, um dann wieder im Nebel zu verschwinden.
„Rund eine halbe Stunde“, sagte Hans-Peter, „dann ist der wahrscheinlich wieder hier. Wir können also in Ruhe über den Zaun klettern.“
„Eine halbe Stunde? Das ist doch nicht eben viel. Wir werden uns in der Box da drüben verstecken müssen, wenn der Posten zurückkommt.“ Dazu starrte Sebastian wieder in den Nebel. „Vom Tower aus kann man uns jedenfalls nicht sehen“, sagte er. „Also los!“
Und beide sprangen in langen Sätzen aus dem Maisfeld, krallten sich in die Maschen des Zauns, zogen sich hoch, rollten sich hinüber und sprangen rückwärts zu Boden. Dann rannten sie zur ausgewählten Splitterschutzbox.
„Machen wir schnell, damit wir hier wegkommen“, und Sebastian angelte dabei einen Zollstock aus der Hosentasche.
Hans-Peter holte aus seiner Jackentasche Block und Bleistift.
Zuerst maß Sebastian die Länge der Wände des Sechsecks von innen, danach die Höhe. Dazu mußte er in Hans-Peters verschränkte Hände treten, denn die oben von halber Höhe ab etwas nach innen geneigten Wände maßen weit über drei Meter und alle Wände insgesamt bildeten ein längliches, oben offenes Gebäude, in dessen eine Schmalseite eine Betonpiste von der Hauptrollbahn aus hineinführte, breit genug für ein Flugzeug.
„Das kann man da oben mit einer Plane abdecken, wenn die Maschine hier drin steht“, meinte Hans-Peter, den Kopf in den Nacken gelegt, „wahrscheinlich mit Tarnplanen“, sinnierte er vor sich hin.
„Träume nicht von Tarnplanen, sondern notiere“, und Sebastian maß die Stärken der Innen- und Außenplatten, die Kiesfüllung dazwischen, und Hans-Peter notierte, skizzierte und beschriftete die vermessenen Teile auf der Skizze für eine spätere maßstabgerechte Zeichnung, womit er seine Mathematikkenntnisse zur Geltung gebracht sehen wollte.
„Die genauen Maße reichen vollauf“, meinte dagegen Sebastian. „Eine fertige Zeichnung ist nur unnötig gefährdend. Wenn man die finden würde, wüßte die Stasi sehr bald, worum es sich dabei handelt.“
„Der Nebel läßt nach“, stellte Hans-Peter plötzlich fest, während Sebastian auf dem Boden kniete und mit einer mitgebrachten kleinen Schippe ein Loch ganz dicht an der Hauptrollbahn buddelte, um die Stärke der Betonplatten sowie der Kiesunterlage zu vermessen. Er richtete sich auf. Undeutlich erkannte auch er schon den Zaun und der Tower war im dünner werdenden Dunst bereits schattenhaft zu ahnen. „Du hast recht“, sagte er, „wir müssen uns beeilen.“ Schnell also noch den Zollstock in die schmale Grube neben der Rollbahn gestoßen und dem Freund die Maße zugerufen, das Loch wieder eingeebnet und dann ab, rasch hinter die Mauern der Splitterschutzbox... Beide erstarrten im Lauf. Der Posten tauchte bereits aus dem merklich dünner werdenden Nebel auf. Er ging sehr langsam.
„Möglichst flach machen“, raunte Sebastian und wies mit dem Zeigefinger nach unten.
Beide lagen dann auch regungslos an den Boden gepreßt. Sebastian wagte einen Blick auf den immer näher kommenden Posten. Kein Maisfeld schützte sie nun. Zu ihrem Schrecken blieb der Russe auch noch stehen, sah sich um und drehte sich schließlich umständlich eine Zigarette, zündete sie an und setzte sich wieder in Bewegung. In Hans-Peters Ohren summte das Blut. Sebastian war blaß geworden, in seinen Fingern begann es zu kribbeln. Hoffentlich, dachte er, hoffentlich deckte sie der rasch dürftiger werdende neblige Dunst über dem Boden noch ausreichend. Den Posten jedenfalls konnten beide ganz deutlich erkennen, sogar den roten Stern an seiner Mütze. Keine zwanzig Meter... Er müßte sie eigentlich hier liegen sehen. Doch der Russe ging weiter, unendlich langsam, so schien es ihnen. Guck bloß nicht her, dachte Sebastian, geh’ bloß weiter, weiter … Endlich, nach einer Ewigkeit schien es beiden Freunden, sahen
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