Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Pfarrer Nehring, dessen Sohn, wie Sebastian von Totila erfahren hatte, sich über Privatunterricht auf das kirchliche Oberseminar in Hermannswerder hatte vorbereiten können, da auch er keine Chance bekommen hatte eine Oberschule zu besuchen.
Die drei Angeklagten stopften durcheinander alles in sich hinein, von dem sie, bis auf Wolfgang Nehring wußten, daß sie solche Köstlichkeiten viele Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen würden. Noch einmal Schokoladengeschmack auf der Zunge, noch einmal den Saft frischer Apfelsinen im Mund und noch einmal in ein gebratenes Schnitzel beißen. Alles Sachen, die auch draußen mehr als nur selten waren. Wie hatte doch sein Vernehmer gesagt, überlegte Sebastian, um ihm vor Augen zu führen, was er nun alles verpassen würde? Die Bockwurst, hatte der gesagt, kostet jetzt nur noch 1,50 statt 3 Mark – na so ein Pech für ihn…
„Ich hab‘ mit dieser Staatsanwältin gesprochen“, hörte er seine Mutter, „und ihr gesagt, daß ich nicht verstehen kann, wieso junge Menschen, die doch nur verführt worden sind, genauso habe ich‘s gesagt, verführt habe ich gesagt, derart hoch bestraft werden sollen. Ich möge mich beruhigen, hat sie erklärt. Das Gericht werde gegen dich nur zehn Jahre verhängen.“
„Woher weiß die das denn schon so genau“, fragte Sebastian, „es ist doch noch gar nichts verhandelt worden.“
„Das habe ich mich auch gefragt“, antwortete Frau Sebaldt.
Sebastian winkte ab: „Hast Du nicht gesehen, wie die ganze Bagage, einschließlich Stasi-Vernehmer, das ist der Typ in Uniform, hinter derselben Tür verschwunden sind? Die Stasi hat mir ja gesagt, daß die jedes Urteil wesentlich mitbestimmen. Damit hat der sogar angegeben. Alles steht längst fest. Die Verhandlung hier ist ein reiner Witz.“
„Das ist mir schon klar“, sagte seine Mutter, „aber zehn Jahre sind immer noch zehn Jahre.“
Sebastian winkte wieder ab: „Macht euch nicht zu viele Gedanken, ich kriege das hin.“ Es war schon etwas wie sein schlechtes Gewissen, das sich da meldete. „Es tut mir leid“, versuchte er dann zu erklären, „aber Mitwisserschaft, Du weißt ja wie die da sein können, ist immer gefährlich. Ich bin natürlich nicht auf die Idee gekommen, daß Sasse uns verraten könnte.“
„Ich habe dich aber immer vor ihm gewarnt.“
„Stimmt, da hattest du leider recht. Natürlich werde ich jetzt garantiert von Spitzeln umlagert sein, damit muß ich rechnen. Aber ihr seid nicht sauer?“, fragte er dann ganz unvermittelt.
„Können wir ja nicht“, antwortete seine Mutter. „Schließlich denken wir ganz ähnlich.“
„Da bin ich beruhigt“, entgegnete Sebastian und lud seine Schwester zum Schokoladeessen ein.
„Nur ein Stückchen“, und sie brach sich von der Tafel eine kleine Ecke ab. „Ich kann sowas ja immer mal haben, aber du vielleicht zwölf Jahre lang nicht“, dazu sah er Tränen in ihren Augen.
„Na, nun hört’s aber auf“, sagte er, „das paßt nicht zusammen, Tränen und Schokolade“ – er schüttelte den Kopf, „wo kommen wir da hin… und außerdem ist’s doch gar nicht gesagt, daß ich das absitze. Wer weiß denn schon, was in den nächsten Jahren sein wird? Niemand kann das heute wissen. Ich muß aber Totilas Vater noch was sagen über Sasses Verrat“, erklärte er dann und sah sich kurz um. Die drei uniformierten Posten standen weiterhin auf dem Gang vor der offenen Tür. Er konnte also reden. Mit ein paar Schritten war er beim Pfarrer, der gerade zum Fenster hinaussah. Totila sprach mit seinem Freund Nehring. „Ich weiß ja nicht, ob und wann wir uns wiedersehen“, sagte Sebastian zum Pfarrer, der sich ihm zuwandte. „Auf alle Fälle aber wollte ich Ihnen sagen, daß Sasse nicht nur uns, sondern auch Sie verraten hat, jedenfalls das, was er wußte, nämlich, daß Sie sich mit uns und Hoffmann damals in Westberlin getroffen hatten. Ich bin Sasse sogar gegenübergestellt worden und habe seine Aussage bestritten. Verblüffend war nur, daß die das eines Tages nicht mehr interessiert hat. Ich denke, das Stopsignal kam aus Berlin, oder?“
Pfarrer Kunzmann nickte. „Danke für die interessanten Hinweise“, sagte er, „aber du vermutest richtig, die Kirchenleitung hat sich an die Regierung gewandt.“
„Und deshalb sind die auch hier“, fragte Sebastian, „der Scharf und die anderen?“
„Genau so ist es. Es weiß noch niemand“, sagte der Pfarrer mit gedämpfter Stimme und sah sich kurz um, „aber ich kann
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