Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
fragte Sebastian nach kurzer Pause.
Totila nickte unauffällig. „Abschreckung ist richtig“, sagte er, „Terrorurteile… Wenn du hier reingehst“, fuhr er fort und dazu schickte er einen Blick quer durch den Saal, „laß alle Hoffnung draußen.“
„Guck mal da“, unterbrach Sebastian den pessimistischen Ausblick des Freundes. Aus einer Tür rechts im Hintergrund trat eine Frau und setzte sich an einen Tisch, der seitwärts im Raum stand, blätterte dort in einigen Papieren und schrieb auch etwas.
Dann die Stimme eines Gerichtsangestellten: „Das Gericht! Erheben Sie sich.“ Alle im Saal befolgten diese Aufforderung, auch die drei Angeklagten. Sebastian erinnerte sich flüchtig, so etwas schon mal im Kino gesehen zu haben.
Dann wurde die Staatsanwältin, die als Erste durch die Tür im Hintergrund den Saal betreten hatte, als Vertreterin der Bezirksstaatsanwaltschaft vorgestellt, danach die Direktorin des I. Strafsenats des Bezirksgerichts Cottbus als Vorsitzende neben zwei Schöffen.
Voraus schickte die Direktorin eine Erklärung für die Abwesenheit des Hans-Peter Sasse: Der sei erkrankt und sein Fall werde separat verhandelt.
„Das ist zusammengelogen“, flüsterte Sebastian Totila ins Ohr.
Der nickte zustimmend.
Die dann vorgetragene Anklage der Staatsanwaltschaft entsprach ziemlich pauschal und fast wörtlich der Anklageschrift, soweit Sebastian sich noch daran erinnern konnte. Dort wurden sie alle drei als willige Helfershelfer des kriegslüsternen USA-Imperialismus und dessen wiedererstandenen revanchistischen deutschen Spionageagenturen bezeichnet …
Die Angeklagten hätten eine bemerkenswerte kriminelle Energie entwickelt, um dem ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat einen möglichst großen Schaden zuzufügen. Bei überdurchschnittlicher Intelligenz sei allen dreien die volksfeindliche Verwerflichkeit ihres verbrecherischen Tuns vollkommen bewußt gewesen. Auch hätten sie während der Vernehmungen nicht die geringste Reue gezeigt und sich in keiner Weise kooperativ verhalten.
Von Sasse war, abgesehen von der allerersten Bemerkung über seine Erkrankung, überhaupt keine Rede mehr. Mit keinem Wort, bemerkte nun auch Totila ärgerlich, ging die Anklage auf die Rolle des Hans-Peter Sasse ein, ohne die es keine Verhaftungen gegeben hätte.
Wenn ich es nicht vom Vernehmer erfahren hätte, überlegte Sebastian, wüßten wir auch heute noch nichts Genaues.
Die Staatsanwaltschaft jedenfalls umging diesen ganzen Komplex des Verrats. Die Zuschauer erfuhren gar nichts. Die sollten wohl glauben, die Stasi wisse alles, sehe alles, höre alles, kenne alles … Man solle sich nur vorsehen. Kein Geheimdienst, sagte Sebastian sich, wohl eher eine Art Gestapo, unkontrolliert und mit allen Vollmachten. Die Anklage der Staatsanwältin hatte er nur noch als Wortgeklingel im Ohr, weit weg…
In die Gegenwart geholt wurde Sebastian erst wieder, als die Staatsanwältin sich anschickte Strafanträge zu stellen.
„Für den Angeklagten Sebastian Sebaldt“, hörte er jetzt deutlich seinen Namen, „beantrage ich zwölf Jahre Zuchthaus“ – durch den Saal ging ein Aufstöhnen … „wegen Verbrechens gemäß Artikel 6 der Verfassung der DDR sowie Kontrollratsdirektive Nummer 38“, fuhr sie unbeirrt fort, „Abschnitt II, Artikel III A III …“
„Ganz schön happig“, flüsterte Sebastian Totila zu, aber ähnliches hatte er ja erwartet.
Dann wieder die Stimme der Staatsanwältin: „Für den Angeklagten Totila Kunzmann beantrage ich acht Jahre Zuchthaus und für den Angeklagten Wolfgang Nehring zwei Jahre Zuchthaus.“
Den drei Angeklagten auf ihrem Bänkchen gelang es danach den Eltern kurz zuzuwinken. Die Anwälte hatten erwartungsgemäß nicht viel zu sagen. Sie baten das Gericht lediglich, die Jugend der Angeklagten bei der Urteilsbemessung zu bedenken.
Das Gericht, hieß es schließlich, ziehe sich zur Beratung zurück. Sebastians Mutter aber stand schon am Tisch der Staatsanwältin, wie er beobachten konnte und redete offensichtlich erregt oder empört auf die Frau ein.
Totila hatte inzwischen auch den gemeinsamen Vernehmer, diesen Hauptmann in seiner Uniform, im Saal entdeckt und Sebastian darauf aufmerksam gemacht.
„Was will denn der hier?“
Als Angeklagte hatten sie dann die Strafanträge stehend entgegen zu nehmen.
Sebastian wollte gerade, der Anklagebank schon halb entkommen, seiner Mutter entgegen gehen, als er vom Bewacher am Ärmel zurückgehalten wurde: „Sie können
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