Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Anwalt lachte kurz und nickte. Dann wandte er sich wieder dem Gericht zu, der Richterin und den beiden Schöffen, wovon letztere bisher nicht einen Piep von sich gegeben hatten, Abteilungsleiter der eine und Gewerbetreibender der andere.
Nachdem der Saal sich bis auf den Stasivernehmer in der ersten Reihe geleert hatte und die hohen Türflügel geschlossen worden waren, begann die Frau, die dort in ihrem dunklen Kostüm gegen das helle Licht der Fenster stand, von infamen Anschlägen der Angeklagten im Auftrag des USA-Imperialismus gegen den Weltfrieden zu reden und von der Beteiligung an der Planung eines imperialistischen Angriffskrieges gegen das sozialistische Lager. „Als besonders verwerflich“, sagte sie, „muß man das Ausspähen von militärischen Anlagen unserer sowjetischen Freunde und Verbündeten auf dem Gebiet unseres Landes, der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, bewerten.“ In diesem Ton ging es noch eine ganze Weile weiter. Die Frau dort vorne redete sich allmählich immer mehr in Rage.
Sebastian ließ das irgendwann nur noch an sich vorüberplätschern.
Auch Freund Totila an seiner Seite starrte unbewegt ins Leere.
Ihre Verbrechen, hörte Sebastian dann wieder diese Frau, erwiesen sich schlicht als monströs. Es wäre ja schön, sagte er sich, wenn das, was sie für die Freiheit getan hatten, so wirkungsvoll wäre wie es hier dargestellt wurde. Ihre persönliche Schuld am nächsten Weltkrieg stand für das Gericht jedenfalls zweifelsfrei fest. Was hat der Westen, was haben die Amis denn nun wirklich für die DDR-Bevölkerung getan? Und was am 17. Juni? Absurd, sagte er sich, wer wollte denn hier einen Krieg vom Zaune brechen. Hilfe aus dem Westen? Das Volk hatte zwar darauf gehofft, doch gekommen waren russische Panzer.
„Der Angeklagte Sebaldt“, vernahm er dann wieder seinen Namen, „hat den Auftrag gehabt, die Verhältnisse eines bestimmten Flugplatzes in der Republik
zu erforschen. Desweiteren lieferte er, entsprechend der Anweisungen des Agenten H. in Westberlin, folgendes Spionagematerial…“
Die Aufzählung war dann dürftiger, als er erwartet hatte. Sasse hat uns zwar ans Messer geliefert, aber denen längst nicht alles erzählt. Also hat meine Sturheit sich doch gelohnt, sagte er sich. Und Sasse hat sich ganz offensichtlich darauf verlassen, daß ich keine weitergehenden Aussagen machen werde. Ein Scheißspiel…
Schließlich wurde ihm auch die Anwerbung Sasses und Kunzmanns zur Last gelegt. Ebenfalls war dann von Agentenlohn die Rede. So’n Quatsch!
Keine Proteste, hatten die Anwälte ihnen jedoch geraten, das schade nur.
Auch Totila wurde schließlich der Erhalt von Geldsummen unterstellt, für die Verteilung von Flugblättern und die Anwerbung des Angeklagten Nehring.
Der seinerseits wurde lediglich der Mitwisserschaft beschuldigt.
„Wo hast du deinen Agentenlohn vergraben?“ hörte Sebastian schließlich die gemurmelte Frage Totilas neben sich.
„Genau wie du im Garten“, sagte er hinter vorgehaltener Hand.
„Schlecht“, antwortete Totila ohne die Lippen zu bewegen, „dort haben die Russen ‘45 auch schon immer alles gefunden.“
Sebastian grinste. „Pech gehabt“, murmelte er und hob dazu leicht die Schultern.
Wolfgang Nehring indessen folgte mit leichtem Schmunzeln um die Mundwinkel aufmerksam den Auslassungen der „Volksrichterin“.
Nach dieser eigentlichen Anklage, in der die drei Beklagten nach den belanglosen Auslassungen ihrer Anwälte auch nichts mehr zu sagen wußten, wurde der Saal für das auf den Fluren ausharrende Volk wieder freigegeben.
Nachdem sich das erneute Scharren von Füßen und das Geräusch gerückter Stühle gelegt hatte, hob die Gestalt der Richterin sich wieder gegen das helle Frühlingslicht in den Rundbogenfenstern ab.
Die Angeklagten, war ihnen bedeutet worden, hatten das Urteil stehend in Empfang zu nehmen.
„Im Namen des Volkes!“ Nach diesem Satz, in die Stille des Saales gesprochen, hätte man ein Blatt Papier zu Boden fallen hören können. Dann folgte in das Schweigen hinein eine längere Pause, die wohl die Wucht dieses Satzes nachdrücklich unterstreichen sollte. „In der Strafsache gegen den Forstlehrling Sebastian Sebaldt“, fuhr die Stimme schließlich fort, „den Seminaristen Totila Kunzmann und den Seminaristen Wolfgang Nehring wegen Verbrechens gemäß Artikel 6 der Verfassung der DDR und Kontrollratsdirektive 38 hat der 1. Strafsenat des
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