Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel
hatte Weihnachten noch nie gemocht. Heiligabend allein mit seinen Eltern vor dem Fernseher zu sitzen, das war noch nie besonders lustig gewesen. Aber hier konnte er wenigstens mal zu Willi rüberrennen, wenn es zu schlimm wurde. Das hatte ihn letztes Jahr auch gerettet.
»Ach, nun mach doch nicht so ein Gesicht!«, sagte seine Mutter. »Stell dir doch mal vor – keine Verwandtenbesuche am ersten Weihnachtstag, keine Küsse von Tante Wilma, kein Schulterklopfen von Onkel Ernst. Das ist doch auch was wert, oder?«
»Und der Weihnachtsmann?«, fragte Ben. Er stellte seinen halb vollen Teller auf den Tisch. »Kommt der auch mit in die Sonne?«
»Haha«, sagte sein Vater. »Sehr witzig, mein Lieber. Wer lästert denn immer herum, wenn wir einen Weihnachtsmann bestellen? Dem letzten hast du den Bart vom Gesicht gezogen, erinnerst du dich?«
»Ach, der! Das war doch nicht der echte!«
»Der echte?« Seine Eltern sahen leicht besorgt und zunehmend ungeduldig aus.
»Das reicht!«, sagte Bens Vater. »Du verabschiedest dich jetzt am besten. Soviel ich weiß, schreibst du morgen eine Mathearbeit, oder?«
Manchmal war Ben nicht sicher, ob sein Vater wusste, welche Haarfarbe er hatte. Aber was in der Schule los war, wusste er immer.
»Die Mathearbeit ist geritzt«, sagte Ben, stand auf und ging zur Tür.
»Wenn du nun unbedingt einen Weihnachtsmann haben willst«, rief seine Mutter ihm nach, »dann werden wir einen besorgen. Auf Mallorca gibt es bestimmt auch
welche.«
»Bestimmt«, murmelte Ben und lief die Treppe hinauf in sein Zimmer.
Er machte kein Licht an. Er setzte sich ans Fenster und sah hinaus auf den dunklen Garten und die regennassen Dächer der Nachbarhäuser. Ben dachte an Julebukk. Seine Stiefel waren ganz alt und ausgetreten. Ich werde ihm ein Paar von Papa mitbringen, dachte Ben, sonst friert er sich noch die Zehen ab.
Dann zog er sich aus und kroch in sein kaltes Bett.
Weihnachtsträume
Es war schon nach Mitternacht, als Julebukk aus seinem Wagen stieg. Seinen Regenschirm hatte er dabei, einen kleinen Sack und die beiden Engel. Die Kobolde blieben im Wagen. Sie wollten weiter versuchen das zweite Rad zu reparieren. Zumindest hatten sie das versprochen. Allerdings hatten sie dabei verdächtig oft gegähnt und sehnsüchtig zu ihrer Schlafschublade geguckt.
Die Nacht war kalt. Julebukks Atem stieg wolkenweiß aus seinem Mund. Feiner Nieselregen fiel vom Himmel und gefror auf dem Asphalt. Die dünne Eishaut glänzte im Laternenlicht. Es war so glatt, dass Julebukks abgelaufene Sohlen kaum Halt fanden. Rutschend erreichte er den Bürgersteig und fühlte gefrorene Erde unter den Füßen.
Die Häuser im Nebelweg standen dicht nebeneinander, große Klinkerhäuser mit mehreren Briefkästen an der
Haustür und Einfamilienhäuser mit spitzen Dächern und Tannen in den schmalen Vorgärten. Hinter wenigen Fenstern brannte noch Licht. An dem Haus, in dem Ben wohnte, ging Julebukk vorbei. Bens Weihnachtswünsche wollte er von ihm selber hören.
Aber vor dem nächsten Gartentor blieb er stehen. »An die Arbeit!«, raunte er.
Hand in Hand flatterten die beiden Engel auf das Haus zu. Sie schauten in alle Fenster. Hinter zweien fanden sie schlafende Kinder. Dort lehnten sie die Stirn gegen die nassen Scheiben, schlossen die Augen und lauschten den Kinderträumen.
Julebukk wartete unten auf dem Bürgersteig mit kalten Füßen und roter Nase. Ab und zu sah er sich beunruhigt um, aber nichts rührte sich. Trotzdem drückte sich Julebukk ganz dicht an die hohe Hecke, bis das Laternenlicht nur noch auf seine Stiefelspitzen schien. Mit klammen Fingern zog er ein kleines goldenes Buch aus seiner Manteltasche und schrieb die Hausnummern hinein.
»Julebukk!«, rief Matilda. »Julebukk, wo steckst du denn?«
»Hier!«, rief Julebukk leise. »Hinter der Hecke.«
Die beiden Engel ließen sich auf seinen Schultern nieder. »Zwei Kinder!«, wisperte Matilda in sein rechtes Ohr. »Nina und Sven. Sie wünschen sich Schnee und außerdem so viele Geschenke, dass ihre kleinen Köpfe ganz wirr davon sind.«
Julebukk nickte und schrieb in sein Buch »Überraschung«. »Sind sie empfänglich für ein kleines Wunder?«, fragte er.
»Ich fürchte, nein«, flüsterte Emmanuel von links. Er spuckte immer ein bisschen beim Flüstern und Julebukk kratzte sich sein Ohr.
»Also gut«, seufzte er. »Weiter. Mein Gott, ich brauch dringend ein Paar neue Socken.«
Beim zweiten Haus schüttelten die Engel nur den Kopf und flatterten
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