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Als die Tiere den Wald verließen

Als die Tiere den Wald verließen

Titel: Als die Tiere den Wald verließen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dann
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einen kleinen Bach fanden, an dem sie ihren Durst löschen konnten. Das flache Wasser sah so einladend aus, daß einige der Tiere dem Beispiel der Kröte folgten und ins Wasser gingen, um sich abzukühlen. Der Landstrich schien so verlassen und friedlich, daß der Dachs sich entschloß, eine kleine Rast einzulegen, bis sich alle völlig erholt hatten.
    Der Turmfalke und der Waldkauz flogen voraus, um das Land zu erkunden. Die Hitze und die Stille machten die Tiere schläfrig. Sanft getragen von Kräuselwellen, ließ sich die Kröte glücklich an der Wasseroberfläche dahintreiben. Die Arme und Beine hatte sie flach zur Seite gestreckt, ihre schönen Augen glitzerten in der Sonne. Sie war halb eingeschlafen. Plötzlich fuhr sie erschrocken hoch. Sie hörte ein heftiges Quieken und sah einen kleinen wilden Vogel mit einer winzigen zappelnden Feldmaus im Schnabel vorüberfliegen.
    Die Kröte paddelte rasch zum Ufer und sah zu, wie der Vogel mit seiner Beute davonflog. Der Dachs, das Wiesel, der Igel und der Hase kamen angerannt. »Vielleicht war es eine von unseren Mäusen!« rief die Kröte.
    »Rasch!« sagte der Dachs. »Hase und Wiesel, ihr kommt mit! Igel, du bleibst hier und sorgst dafür, daß alle in Deckung gehen! Oh, wo sind bloß der Turmfalke und der Waldkauz?«
    Die drei Tiere rannten hinter dem Räuber her. Der Hase übernahm die Führung.
Unter der Last seines Opfers konnte der Vogel nur langsam fliegen, und so war der schnellfüßige Hase schon bald direkt unter ihm. Er verringerte seine Geschwindigkeit. Gerade wollte er einen Schrei ausstoßen, als er sah, daß die arme Maus schlaff aus dem gekrümmten Schnabel des Vogels hing. Sie war offensichtlich tot.
Der Hase wußte, daß es keinen Zweck hatte, den Vogel weiter zu verfolgen. Der Vogel schaute mit einem Ausdruck der Unbesiegbarkeit nach unten und stieß ein gedämpftes »Tschak« aus. Dann flog er triumphierend davon und verschwand in dem Birkenwäldchen, wo die Wühlmäuse und die Feldmäuse wohnten. Der Hase schaute sich um. Der Dachs und das Wiesel waren noch weit entfernt, und so folgte er dem Vogel ins Dickicht. Mit aufgeregter Stimme begrüßte die Gefährtin des Vogels ihren Partner, und so war es für den Hasen nicht schwer, die beiden zu finden. Und was nun folgte, ließ dem Hasen das Blut in den Adern gerinnen. Der Vogel flog zu einem benachbarten Schwarzdornbusch und spießte die winzige Maus mit einer heftigen Kopfbewegung auf einen vorstehenden Dorn. Dann flog er zu dem Ast, auf dem seine Gefährtin saß, und beide begannen, aufgeregt zu schnattern und mit ihren langen Federschwänzen zu schlagen. Fast gegen seinen Willen fühlte sich der Hase zu dem Dornenbusch hingezogen. Ein paar Schritte vor dem Busch blieb er stehen. Bei dem entsetzlichen Bild, das sich ihm bot, wollte er kaum seinen Augen trauen. Der Busch war über und über von Tierleichen bedeckt: da gab es Hummeln, große Käfer, Heuschrecken und winzige, fast pelzlose Mäuschen - und alle waren ordentlich auf die spitzen Dornen aufgespießt. Der Hase flüsterte vor sich hin: »Der Würger!« Alle Tiere hatten schon Geschichten von der entsetzlichen »Vorratskammer« gehört, die sich der Würger hielt.
Der Hase zitterte. Kaum wagte er, sich den Gedanken einzugestehen, der ihm gerade gekommen war. Wo waren die Wühlmäuse und die Feldmäuse? Er begann, zwischen den Blättern und den Zweigen zu suchen. Seine Verzweiflung wuchs. Er suchte überall, aber keine einzige Maus war zu finden. Er hörte den Dachs rufen: »Hase, wo bist du?« Rasch verließ er das Dickicht. Die beiden Vögel saßen kerzengerade auf ihrem Ast und wandten auf der Suche nach neuer Beute ruckartig die Köpfe hin und her. Der Hase war entschlossen, dem Dachs nicht zu zeigen, was er gerade gesehen hatte. Das weichherzige Tier würde sich bestimmt dafür verantwortlich machen, was geschehen war, und wenn er die schreckliche Vorratskammer sah, hätte er sicher das Gefühl, er hätte die Wühlmäuse und die Feldmäuse, oder zumindest ihre hilflosen Kinder, in den Tod geschickt. »Da bist du ja!« rief der Dachs, als der Hase ins Freie kam. »Wo ist der Vogel hin? Hast du es gesehen?« Der Hase schüttelte traurig den Kopf. »Die kleine Maus - wer es auch immer gewesen sein mag - war tot«, sagte er. »Das habe ich gesehen.«
»Was für ein Vogel war es denn?« wollte der Dachs wissen.
Der Hase mußte sich schnell etwas einfallen lassen. »Nun, ich bin nicht sicher«, sagte er ausweichend. »Er hatte einen

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