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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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interessierten, indem er dem Gärtner auf dem Fuß folgte. Der Gärtner kam regelmäßig ins Gewächshaus und ins Heizungshaus und ging auch durch die Tür der Südmauer.
    Aber meist trat der Gärtner so schnell durch die Tür und schloss sie so knapp hinter sich, dass keine Zeit blieb, ihm zu folgen. Allerdings, überlegte Tom, mit einer Schubkarre würde er langsamer sein, und geduldig wartete er auf diese Gelegenheit. Doch selbst als sie kam, streckte der Mann nur lässig den Arm aus, um die Tür vor der Schubkarre zu öffnen, schob sie rasch durch, stieß mit der Stiefelspitze gegen den Türrand und knallte sie Tom vors Gesicht.
    Tom starrte die Tür an, die einmal mehr ein Hindernis für ihn war. Noch einmal, ohne sich Hoffnungen zu machen, legte er die Hand auf die Klinke und drückte. Wie üblich konnte er sie nicht bewegen: Seine Finger schienen nicht aus Fleisch und Blut zu sein. Zorn stieg in ihm hoch und er drückte mit aller Gewalt. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen brachte er all seine Willenskraft gegen die Klinke auf, bis er das Gefühl hatte, dass etwas passieren musste. Und in der Tat, seine Finger begannen durch die Klinke zu sinken, als ob sie, und nicht die Finger, nicht aus festem Stoff wäre. Die Finger sanken durch das Eisen der Klinke hindurch und dann fiel die Hand hinab auf Toms Bein.
    Tom starrte seine wertvolle Hand an. Sanft befühlte er sie mit der Linken, ob sie vielleicht aufgeschrammt oder gebrochen war. Sie war völlig gesund – genau wie zuvor. Er musterte die Türklinke. Sie wirkte so echt wie jede gewöhnliche Klinke.
    Dann kam Tom auf den Gedanken, dass die Tür vielleicht nicht fester war als die Klinke, wenn er es wirklich versuchte.
    Mit diesem Vorhaben im Kopf stellte er sich seitlich an die Tür und presste mit Schulter, Hüfte und Ferse dagegen. Zunächst gab nichts nach, weder von ihm noch von der Tür. Doch er drückte weiter, mit noch mehr Kraft und Entschlossenheit, und allmählich wurde er sich einer seltsamen Empfindung bewusst, ein Gefühl der Betäubung von der Schulter bis zu den Füßen – doch nein, das war es nicht.
    Ich komm durch, dachte Tom verblüfft, von Furcht und Erleichterung zugleich erfasst.
    Auf der anderen Seite der Mauer, vor einem Geräteschuppen, hatte der Gärtner eine Ladung Unkraut ausgeschüttet. Er hatte sich auf den Rand der Schubkarre gesetzt und aß sein Mittagsbrot. Tom, wenn er ihn hätte sehen können, wäre ein sehr befremdender Anblick gewesen: die dünne Scheibe eines Jungen, der von der Schulter bis zum Fuß durch eine feste Holztür drang. Zuerst kam der Körper gleichmäßig von oben bis unten; dann schien der obere Teil innezuhalten und der untere Teil, mit den Füßen voran, kam zur Gänze durch. Daraufhin kam der eine Arm, dann der andere. Schließlich steckte nur noch der Kopf auf der anderen Seite.
    Um die Wahrheit zu sagen, verließ Tom jetzt ein wenig der Mut. So viel von seinem Körper durch die Tür zu drücken war ziemlich anstrengend gewesen und hatte ihm merkwürdige, wenn auch unbeschreibliche Empfindungen verschafft. »Ich ruh mich nur kurz aus«, sagte Toms Kopf auf der Gartenseite der Tür; doch er wusste, dass er im Grunde zögerte, weil er nervös war. Sein Magen zum Beispiel hatte sich äußerst unwohl gefühlt, als er durch die Tür drang; wie würde es dann für seinen Kopf sein – für die Augen, die Ohren?
    Andererseits – und dieser neue Gedanke war noch schlimmer als der alte was wäre, wenn er wie eine alte Dampflok, deren Kessel erkaltete, seine Kraft und seinen Mut während dieser Verzögerung verlor? Dann konnte er weder vorwärts noch rückwärts gehen. Er würde hier am Hals stecken bleiben, vielleicht für immer. Und nur einmal angenommen, auf der anderen Seite der Mauer käme jemand vorbei, der ihn durch ein böses Geschick tatsächlich sehen konnte – angenommen, eine ganze Bande käme vorbei. Sie würden einen völlig Wehrlosen herausragen sehen – das wäre ja geradezu eine Einladung, ihn zu verlachen und zu ärgern. Mit geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen zog Tom den Kopf durch die Tür und stand nun, benebelt und schwindlig, aber unversehrt, auf der anderen Seite.
    Als Tom wieder klar sehen konnte, bemerkte er, dass er direkt vor dem Geräteschuppen und dem Gärtner stand. So, von Angesicht zu Angesicht, hatte er den Gärtner noch nie gesehen. Er war ein vierschrötiger junger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und Augen wie der Himmel selbst – sie sahen jetzt geradewegs

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