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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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vorbei; sie war endlos.
    Tom rieb die Gurte der Schlittschuhe mit Öl ein und der Gang seiner Gedanken kam ihm jetzt geschmeidig und stimmig vor. Er konnte eine endlos lange Zeit im Garten verbringen, wenn er wollte. Er konnte nun doch beides haben – den Garten und seine Familie –, denn er konnte für immer im Garten bleiben, und doch würde ihn seine Familie für immer am nächsten Samstagnachmittag erwarten. Hier oben in der Wohnung würde die Zeit am Donnerstag stillstehen und auf ihn warten; sie würde erst wieder zu fließen beginnen, wenn er den Garten verließ und in die Wohnung zurückkehrte.
    »Ich könnte für immer im Garten bleiben«, verkündete Tom der Küchenuhr, lachend vor Freude. Und dann schauderte ihm ein wenig, denn das »für immer« klang lang und einsam. Jedenfalls könnte ich es heute Nacht ausprobieren, überlegte er. Ich könnte einfach ein paar Tage oder Wochen oder vielleicht ein Jahr bleiben; aber wenn ich dann keine Lust mehr habe – wenn er Heimweh bekam, meinte er in Wahrheit –, nun, dann kann ich immer zurückkommen. Und Freitagnacht habe ich eine zweite Gelegenheit. Dann kann ich noch länger bleiben – und erst zurückkommen, wenn ich alles im Garten gesehen und erlebt habe.
    Während Tom immer noch mit den Schlittschuhen zugange war, dachte er an all die Genüsse, die ihm der Garten bieten konnte. Als er mit der Arbeit fertig war, hatte er einen Entschluss gefasst, der ihn glücklich stimmte. Er war bereit für die Nacht. Nur eines ging an diesem Donnerstag völlig unter. Gerade als er ins Bett gehen wollte, fiel es ihm ein: »Ich hab gestern nicht an Peter geschrieben.«
    »Ist doch nicht schlimm«, sagte die Tante aufmunternd.
    »Aber ich hab es versprochen.«
    »Es ist nicht gut, ein Versprechen zu brechen, aber ich bin sicher, du hast es nicht absichtlich getan. Aber wahrscheinlich wird es für Peter nicht so wichtig sein. Außerdem seht ihr euch ja übermorgen.«
    Doch Tom wusste, dass es wichtig war. Das gebrochene Versprechen war schon schlimm genug; doch er wusste zudem, dass Peter ohne diesen Brief ganz verzweifelt sein würde. Peter brauchte jedes Wort, das Tom ihm schrieb, um seine Einbildungskraft zu nähren – um seine Träume zu speisen. »Erzähl mir noch mehr vom Garten und von Hatty«, hatte er Tom gebeten. »Schreib mir, was ihr gemacht habt… Vergiss ja nicht mir zu schreiben, was du vorhast.«
    »Tut mir Leid, Peter«, murmelte Tom in sein Kissen und er fühlte sich ganz elend dabei. Er hoffte, dass Peter die bittere Enttäuschung inzwischen überwunden hatte. Er ging früher zu Bett als Tom und vielleicht hatte der Schlaf diesen enttäuschenden Tag für ihn schon beendet.
    Doch Tom irrte sich. Peter lag immer noch wach und grämte sich. Er hatte heute keinen Brief von Tom bekommen und er wusste nicht, warum – Tom vergaß seine Versprechen nicht so ohne weiteres. Er wusste nicht, was Tom die letzte Nacht und die Nacht davor unternommen hatte; er wusste nicht, welche Geheimnisse Tom inzwischen vielleicht kannte; er wusste nichts von den herrlichen Abenteuern, die Tom noch in dieser Nacht erleben würde. Peter starrte durch das Halbdunkel seines Zimmers, bis sich seine Augen mit Tränen füllten und schließlich wieder trockneten. Er sehnte sich mehr als je zuvor danach, bei Tom zu sein – zu wissen, was er tat. Erfüllt von dieser Sehnsucht schlief er endlich ein; und sein letzter Blick fiel auf Toms Postkarte von Ely auf dem Kaminsims gegenüber seinem Bett.
    Auch Tom schlief jetzt ein; doch als es an der Zeit war, war er mit einem Schlag hellwach. Er zog zwei Paar Socken an. Diesmal ließ er beide Pantoffeln als Keile unter der Wohnungstür zurück; die Schlittschuhe über die Schultern geworfen, ging er nach unten. Natürlich war es möglich, dass es draußen nicht mehr Winter war – und doch hatte er das sichere Gefühl, dass sich die Jahreszeit nicht verändert hatte. Als er die Tür öffnete, sah er sich bestätigt. Der Garten lag in tiefem Frost, der die Bäume und Pflanzen in seiner eisigen Klammer hielt, sodass es nicht die geringste Lebensregung zu geben schien. Der Garten hätte genauso gut in Stein gemeißelt sein können.
    In der tiefen Stille hörte Tom, wie hinter ihm sein Name geflüstert wurde. Er wandte sich um. Hatty stand im Hausflur. Sie war in dicke, warme Kleidung gehüllt, trug eine Pelzmütze auf dem Kopf und hatte die Hände in einem Pelzmuff verborgen.
    »Ich war mir nicht sicher, ob du es warst, Tom, oder ob das Eislicht

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