Als gaebe es kein Gestern
es ja! Wir haben …“ – Arvin stockte – „wir haben uns kein bisschen gestritten, nur … nur unterhalten. Und dann springt sie einfach auf und flüchtet aus dem Haus. Kannst du dir so was vorstellen?“
„Eigentlich nicht.“
„Du musst mir helfen, sie zu suchen, Enno! Wir müssen … ich weiß auch nicht …“ – er klang aufgeregt und besorgt – „… alle Stationen abfahren, die sie angesteuert haben könnte.“
„Und welche Station kommt da außer mir infrage?“
„Wenn ich das nur wüsste!“, seufzte Arvin. „Die Nachbarn hab ich schon aus dem Bett geklingelt. Aber da war sie nicht. Genausowenig wie auf dem Friedhof. Und wenn sie nicht hier ist …“ Seine Stimme wackelte ein bisschen. „Mensch, Enno, ich hab so Angst, dass sie sich wieder was antut!“
Livia schwankte ein bisschen und musste sich am Regal abstützen. Die ehrliche Besorgnis in Arvins Worten berührte ihr Herz. War es wirklich möglich, dass jemand, der in guten Momenten so dachte, in schlechten zum Mörder wurde?
„Jetzt komm erst mal rein“, schlug Enno vor. „Wir trinken ein Bier und entwerfen einen Schlachtplan, okay?“
Arvin seufzte tief. „Also gut.“ Und dann folgte er Enno ins Wohnzimmer und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Dadurch wurde es mit einem Mal mucksmäuschenstill im Flur.
Livia wartete eine ganze Zeit lang ab, lauschte ihrem eigenen Atem und wartete darauf, dass die beiden ihren Schlachtplan beendeten. Aber das dauerte anscheinend. Die Minuten verrannen, und es wurde für Livia immer unangenehmer, auf ihren lädierten Füßen zu stehen. Deshalb beschloss sie, sich auf den Boden zu setzen, fasste dabei jedoch in etwas Weiches, Nasses und erschrak ganz fürchterlich. Um herauszufinden, worum es sich dabei handelte, schloss sie kurzerhand die Tür und schaltete das Licht an. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten. Dann aber stellte sie fest, dass sie nichts anderes als einen Wischmopp berührt hatte. Dass er noch nass war, warf ein positives Bild auf Ennos Haushaltsführung …
Andererseits wurde der Eindruck durch den Zustand des Abstellraumes wieder ein wenig relativiert. Hier herrschte alles andere als Ordnung. Dosen mit Lebensmitteln, Marmeladen- und Nutellagläser, Tüten mit Nudeln und Chips, Regenschirme, Baseballkappen, Fotoalben, alte Zeitungen und Bücher waren wild in den Regalen verstreut, Bierkisten, Eimer und Putzmittel, eine Leiter, ein Hocker, Farbbehälter, Tapeten- und Teppichreste beherrschten den Fußboden. Von System keine Spur!
Livia blickte sich kopfschüttelnd um. Männer kamen ohne Frauen eben doch nicht zurecht!
Um sich die Zeit zu vertreiben, nahm sie ein paar Zeitungen vom Stapel und durchsuchte sie nach etwas Brauchbarem wie einer Gartenzeitschrift. Leider fand sie nur „Spiegel“ und „Focus“. Frustriert legte sie die Zeitschriften ins Regal zurück. Dabei entdeckte sie etwas, das wie ein Kassettenrekorder aussah. In einem Anfall von Neugier drückte sie auf den Abspielknopf. Das Gerät begann leise zu rauschen, gab aber weder Musik noch irgendwelche anderen Töne von sich.
Dafür hörte sie jetzt, dass sich auf dem Flur etwas tat!
Sie erschrak fürchterlich, hechtete zur Tür und schaltete das Licht aus. Arvin durfte auf keinen Fall bemerken, dass im Abstellraum auf einmal Licht brannte! So etwas war manchmal auch durchs Schlüsselloch erkennbar!
Sie legte ihr Ohr ans Türblatt und horchte angestrengt in den Flur hinein. Leider sprachen Arvin und Enno sehr leise. Erst hörte sie nur dumpfes Gemurmel, dann klappte eine Tür und es herrschte Ruhe! War Arvin weg?
Im nächsten Moment ging die Tür auf und Livia stolperte direkt in Ennos Arme.
„Na, na, nicht so stürmisch“, grinste Enno.
Livia wich eilig vor ihm zurück und richtete ihren Pullover. „Tut mir leid, ich …“ Sie musste sich räuspern. „Ist Arvin weg?“
„Ja, er hatte nicht mal die Ruhe sich hinzusetzen. Schätze, er fährt jetzt ziellos in der Gegend herum und sucht dich.“ Enno schüttelte den Kopf. „Also, wenn du mich fragst, ist er ein verliebter Esel, aber ganz bestimmt kein Mörder. Und die Narbe … Er hatte doch damals diesen Autounfall. Du weißt schon, der Unfall, bei dem seine Eltern getötet wurden. Könnte die Narbe nicht daher stammen?“
„Und die Blutgruppe?“, fragte Livia.
„Zufall?“
„Ich weiß nicht“, begann Livia, verstummte aber, als ihr jemand dazwischenredete. „Vorsicht auf Gleis drei,
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