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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Jan, der – nur mit Jeans und einem weißen T-Shirt bekleidet – in der Kälte stand und eine Zigarette rauchte.
    „Du rauchst?“, wunderte sie sich.
    „Was dagegen?“, erwiderte dieser mit nur wenig Freundlichkeit in der Stimme. Dann lehnte er sich lässig gegen die Hauswand und nahm einen weiteren tiefen Zug.
    „Äh … nein“, stammelte Livia. „Ich hab’s bloß nicht gewusst …“
    „Wie so vieles …“, bemerkte Jan.
    Livia musste schlucken. Dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Meine Erinnerung ist nur verschüttet, sie kommt schon noch wieder …“
    Jans Züge wurden ein bisschen weicher. „Na, das wollen wir doch nicht hoffen“, seufzte er.
    Livia war inzwischen völlig verunsichert. „Wollen wir nicht?“
    Jan schüttelte den Kopf. „Wenn sie wiederkommt, muss ich mit dem Schlimmsten rechnen. In dieser Situation zum Beispiel – ich meine, jetzt und hier – hättest du gesagt …“ Er ahmte eine etwas kiebige Frauenstimme nach und fuhr dann fort: „Na, Jan, schon aufgestanden? Aber warte mal“ – er sah demonstrativ auf seine Uhr – „es ist ja schon zwölf und die Arbeit ist gemacht. Außerdem gibt’s gleich Mittagessen. Da ist es ja kein Wunder, dass du mal wieder aus der Versenkung auftauchst.“
    „Das hab ich immer gesagt?“, flüsterte Livia.
    Jan verzog das Gesicht und nickte.
    Livia überlegte einen Moment lang. „Dann … dann hab ich sie wohl nie mit der Arbeit allein gelassen“, schlussfolgerte sie.
    „Der Verlust deines Erinnerungsvermögens scheint dein Denkvermögen verbessert zu haben“, grinste Jan.
    Livia schob die Frage, ob dies eine Beleidigung oder ein Kompliment war, beiseite und dachte stattdessen weiter über sich und Jan nach. Während Jan eine Rauchwolke nach der anderen in die Luft blies, rauchte es in Livias Kopf ganz ähnlich. Ein paar Minuten vergingen, dann fragte sie: „Also bin ich das weiße und du bist das schwarze Schaf?“
    Jan vergaß glatt den nächsten Zug. „Du sagst es!“ Er lachte erfreut auf. „Dann weißt du auch, warum sich Mama und Papa so sehr freuen, dass du wieder da bist!“
    Livias Blick verfinsterte sich. „Tun sie das?“
    Jetzt wurde auch Jan wieder ernst. Eine Weile sah er Livia nachdenklich an. Dann sagte er plötzlich: „Mir ist schweinekalt.“ Im nächsten Moment runzelte er irritiert die Stirn und sagte: „Schweinekalt, warum nicht kuhkalt?“ Er schüttelte den Kopf und murmelte: „Und da behaupte ich nun, ich hätte mich abgenabelt.“ Er warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem rechten Schuh aus. „Wir sehen uns beim Essen, okay?“ Mit diesen Worten wandte er sich um und verschwand im Haus.
    Livia sah ihm irritiert hinterher. Was war hier nur los? Was brodelte unter der Oberfläche dieser Familie? Sie konnte jedoch nicht lange darüber nachdenken, weil ihr schon so kalt war. Und so machte sie sich ebenfalls auf den Weg ins Haus. Sie gelangte in eine alte Waschküche, die sie noch nie zuvor betreten hatte. Hier gab es eine alte Spüle aus cremefarbenem Porzellan, einen uralten Herd und …
    Sie blieb stehen und starrte die Wand an. War das nicht …?
    Tatsächlich!
    Das war sie! Die Tapete aus Arvins Küche! Die gleiche alte Tapete!
    Livia war so von den Socken, dass sie sich auf den nächstbesten Hocker setzte und erst einmal tief durchatmete. War das der endgültige Beweis dafür, dass sie sich wirklich an manche Dinge erinnerte? Und dass der Rest tatsächlich – genauso wie sie Jan gegenüber eben behauptet hatte – zu ihr zurückkehren würde?
    Nellie legte ihre Schnauze auf Livias Oberschenkeln ab, sah sie aus treuen, warmen Hundeaugen an und begann ganz leise zu winseln. Es sah fast so aus, als spürte sie, was in Livia vorging.
    Livia seufzte tief, streichelte den warmen, weichen Kopf und murmelte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich hierhergehöre, weißt du?“
    Nellie hörte auf zu winseln und wandte die Ohren in Livias Richtung, so als wollte sie alles ganz genau mitbekommen.
    „Du verstehst mich, nicht wahr?“, seufzte Livia und dachte an ihre eigene Frage zurück. Tun sie das? Freuen sie sich? „Manche Menschen können ihre wahren Gefühle nicht so gut ausdrücken“, flüsterte sie und dachte wehmütig an Arvin. Obwohl er ihr nicht mehr vertraute, wusste sie doch, dass er sie im Grunde mochte und brauchte. Sie hatte den Schrei nach Liebe längst hinter seiner harten Schale entdeckt. Ob das bei ihren Eltern ähnlich war? Vielleicht freuten sie sich wirklich über ihre

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