Als gaebe es kein Gestern
Rückkehr und konnten es nur nicht zeigen? Ihr Vater schien jedenfalls ein Mensch zu sein, der recht verschlossen war. Und ihre Mutter? Sie wusste es nicht. Bisher verstand sie diese Frau einfach nicht.
Aber wenn sie sich erinnern könnte …
Kapitel 47
„Gibt es eigentlich Fotos von mir?“, fragte Livia, als sie mit ihren Eltern und Jan am Mittagstisch saß. Ihre Mutter hatte Kohlrouladen mit Pellkartoffeln gemacht, ein Essen, das Livia bisher nicht kannte, das ihr aber dennoch ganz hervorragend schmeckte.
„Hm“, machte ihre Mutter, während sie damit beschäftigt war, den dünnen Faden durchzutrennen und von ihrer Roulade zu entfernen. „Ein paar wird es sicher geben. Aber erwarte nicht, dass sie eingeklebt sind. Für so etwas haben wir hier keine Zeit.“
Livia rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her. Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und auf die Suche gegangen. „Kannst du sie mir nachher zeigen?“, bat sie.
„Ich muss erst überlegen, wo sie sind …“, seufzte Inge und sah Dieter an. „Die waren alle in dieser Blechdose … Hast du eine Ahnung, wo ich die hingetan habe?“
Dieter schüttelte den Kopf und lud sich eine weitere Kohlroulade auf den Teller.
„Wahrscheinlich auf dem Dachboden“, murmelte Jan.
„Auf dem Dachboden?“, hakte Livia nach.
Jan zuckte die Achseln. „Bei uns sind alte Sachen im Haus und neue Sachen auf dem Dachboden. Ich schätze, die Bilder werden erst dann wieder hervorgekramt, wenn sie in irgendeine Ahnengalerie passen.“
Inge hob den Kopf und warf Jan einen vernichtenden Blick zu.
„Gibt es denn eine Chance, dass die Sachen tatsächlich auf dem Dachboden sind?“, erkundigte sich Livia.
„Ja“, sagte Jan, doch fiel diese Antwort mit einem entschiedenen „Nein“ von Inge zusammen.
Livia seufzte tief. „Ich würde halt gern versuchen, meine Erinnerung zurückzuholen. Vielleicht gibt es ja andere Dinge … persönliche Dinge, die mir dabei helfen könnten.“
„An was … dachtest du da?“, fragte Inge.
„Keine Ahnung … Briefe, Bücher, vielleicht sogar Kinderspielzeug … Dinge eben, die mir etwas bedeutet haben … Weißt du … mir ist aufgefallen, dass es in meinem Zimmer so etwas überhaupt nicht gibt. Im Grunde … sieht mein Zimmer überhaupt nicht so aus, als hätte ich es bewohnt. Es wirkt eher wie ein …“ – ihre Gedanken streiften Arvin und das Zimmer, das sie dort bewohnt hatte –, „… ein Gästezimmer!“
„Du hast eben keinen großen Wert auf Dinge gelegt“, behauptete Inge.
„ Du hast keinen großen Wert auf ihre Dinge gelegt“,
fauchte Jan und nahm vor lauter Wut eine dunkelrote Farbe an. Dann wandte er sich an Livia. „Sie haben alles weggeschmissen“, behauptete er, „und nur das behalten, was ‚zu gebrauchen‘ war.“
Livia erschrak und starrte erst ihn, dann ihre Mutter an. Dass diese angestrengt auf ihren Teller blickte, verhieß nichts Gutes. Ihr Blick wanderte zu ihrem Vater hinüber. Erstaunlicherweise hielt dieser ihrem Blick stand. „Es waren Monate vergangen“, sagte Dieter leise. „Die Polizei hat uns keine Hoffnung gemacht, dass du noch am Leben bist.“
Livia schluckte schwer. Obwohl es nicht das erste Mal war, dass jemand ihre Sachen wegwarf, tat es furchtbar weh … „Habt ihr überhaupt nach mir gesucht?“
„ Wir? “, wunderte sich ihr Vater. „Wie hätten wir denn nach dir suchen sollen? Das hat die Polizei übernommen!“
„Ihr habt nichts gemacht?“ Livia war fassungslos. „Keine … Plakate gedruckt und aufgehängt? Keine Anzeigen im Internet geschaltet? Gar nichts?“
„Wir sind mit dem Hof von morgens bis abends beschäftigt!“, rechtfertigte sich Inge. „Und mit dem Internet kennen wir uns überhaupt nicht aus!“
Livia schüttelte den Kopf und wusste nicht, ob sie heulen oder toben sollte. Bedeutete sie ihren Eltern denn überhaupt nichts?
❧
Livia saß in ihrem Zimmer auf dem Fußboden. Sie hatte sich an ihren Schrank angelehnt und schon geraume Zeit einfach nur die Wände angestarrt, als es an der Tür klopfte.
Livia reagierte nicht. Sie wandte nicht einmal den Kopf.
Es klopfte erneut. „Darf ich reinkommen?“, fragte Inge zaghaft.
Livia seufzte tief. „Ja, sicher …“ Es klang vollkommen gleichgültig.
Die Tür wurde geöffnet und Inge trat ein. Einen Moment lang blieb sie unsicher in der Tür stehen, dann kam sie auf Livia zu und blieb direkt neben ihr stehen. „Ich … ähm … hab das hier auf die Schnelle gefunden …“
Endlich sah
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