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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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wir lachten und betranken uns, bis das Restaurant sich langsam leerte und man uns trotzdem erlaubte, einfach in der Ecke sitzen zu bleiben, wie die Vergessenen, während sie um uns herum aufräumten und Späße über den Abend machten. Und dann erzählte er es mir. Völlig unerwartet. Erzählte mir von diesem Zimmer im Libanon.
    » Man kann sich an allem festhalten, Elly, um durchzuhalten.«
    » Und an was hast du dich festgehalten?«
    Pause.
    » Am Anblick eines Zitronenbaums.«
    Er erzählte mir von dem kleinen Fenster ganz oben in diesem Zimmer, ohne Scheibe, den Elementen offen ausgesetzt, seine einzige Lichtquelle. Dort kletterte er immer hoch und hielt sich an der frischen Zugluft fest, die duftende frische Luft, die ihm das Gefühl gab, weniger vergessen zu sein. Er konnte sich nie lange an dem Fenstersims halten und fiel immer wieder zurück in die Dunkelheit, wo es nur noch seine eigenen Gerüche gab, beschämend und schmutzig, hartnäckig.
    Ein paar Tage, nachdem sie ihm das Ohr abgeschnitten hatten, wachte er erst spät am Nachmittag auf und kletterte wieder hoch zu dem Fenster, und da sah er, dass ein kleiner Zitronenbaum in den Hof hinausgestellt worden war. Im verblassenden Licht schienen die Zitronen geradezu zu leuchten, und sie waren so schön, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Und eine leichte Brise wehte den Duft von Kaffee, Parfüm und Minze herüber. Da schien für ihn einen Moment alles wieder im Reinen zu sein, denn die Welt dort draußen war noch vorhanden, und sie war gut, und wenn die Welt gut war, gab es Hoffnung.
    Ich nahm seine Hand. Sie war kalt.
    » Ich muss nach England zurück«, sagte ich. » Komm doch mit.«
    » Nicht ohne ihn«, sagte er.
    Ich wusste, dass sie etwas haben wollten, auf dem seine DNS war, für den Fall, dass man ihn fand, etwas von ihm fand. Bevor ich abreiste, ging ich also ins Bad und packte eine Zahnbürste ein und eine Haarbürste, aber nicht seine Lieblingsbürste, falls er doch noch zurückkommen sollte. Ich ließ sie neben seinem Aftershave liegen und neben einer alten Ausgabe der Rugby World. Ich setzte mich an den Badewannenrand und fühlte mich schrecklich schuldig, weil ich nun nach Hause flog und ihn hier ließ. Aber ich musste zurück; musste nach Hause, um die Kluft, die nun zwischen meinen vom Schicksal geschlagenen Eltern klaffte, zu überbrücken. Also ließ ich Charlie dort allein, in dem Haus, an dem wir monatelang zusammen gearbeitet hatten, das Haus mit dem Vogelnest und der Bitteresche und der alten Goldmünze, die wir beim Umgraben des Gartens gefunden hatten. Ich ließ Charlie dort zurück, damit das Telefon besetzt war, damit er die Botschaft anrufen konnte und da war, falls sie anrufen sollten. Charlie, der alte Hase, wenn es um Traumata ging. Charlie, der unverhoffte Beweis dafür, dass das Leben sich manchmal auch zum Guten wenden konnte.

Alles wirkt so viel kleiner. Die Läden sind nicht mehr da, wie weggewischt, außer aus der Erinnerung. Das Deli, der Zeitschriftenhändler, der Metzger mit seinem Sägemehlfußboden und der schicke Schuhladen, den wir nie betraten, alle weg. Ich bin nicht traurig darüber, ich fühle nichts, einfach nichts. Ich fahre weiter, blinke links und biege in die Straße ein, in der alles anfing.
    Ich parke nicht direkt davor, sondern schon ein paar Häuser vorher. Ich sehe die raschelnden Saris, die verändernde Struktur der Zuwanderung. Ich hatte mir ausgemalt, wie ich den Weg entlanggehen würde, den Weg, der durch das Gras verlief und zwischen den Blumenbeeten hindurch, und wie ich vor der Tür stehen und auf die Klingel drücken würde. » Ich habe hier mal gewohnt«, würde ich sagen und dann würde man mich mit einem Lächeln hereinbitten und mir vielleicht sogar eine Tasse Tee anbieten. Und ich würde ihnen Anekdoten aus unserem Leben erzählen, davon, wie glücklich wir hier waren, und sie würden sich womöglich ansehen und denken » ich hoffe, ihr Glück färbt auch auf uns ab«.
    Plötzlich ein lautes Klopfen an meinem Fenster. Ich blicke in das Gesicht eines Mannes, den ich nicht kenne. Er scheint wütend zu sein. Ich lasse das Fenster herunter.
    » Fahren Sie bald mal? Weil ich wohne hier und will hier parken.«
    Ich sage gar nichts zu diesem Mann. Ich mag ihn nicht, also sage ich nichts. Ich drehe den Zündschlüssel um und fahre weg. Ich lasse den Wagen langsam die Straße entlangrollen, bis ich es sehe. Ich halte davor an. Die Mauer ist weg, der Garten ist weg, und ein Auto parkt dort,

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