Als Gott ein Kaninchen war
alles aus mir herausholte, was so lange verschüttet war. Alles, was verborgen war, immer heftigeres Vögeln, bis mich die Woge der Energie mitriss und ich mich an ihn klammerte, an diesen Fremden, und ich ihm in die Schulter biss, als meine Laute– und seine Laute– das Zimmer erfüllten und das echte Leben, ummantelt von Schmerz, in dieses Bett zurückbrachten.
Fünf Uhr morgens. Draußen erwachte das Leben. Ich drehte mich noch einmal um, entkräftet, wund zwischen den Beinen. Leise zog ich mich im Halbdunkel an und betrachtete ihn im Schlaf. Ich würde keinen Zettel dalassen. Ich ging zur Tür.
» Das war nicht nichts«, sagte er.
» Ich weiß.« Ich kehrte um und hielt ihn fest. Es war wie Atemholen.
Die Tage breiteten sich vor mir aus, endlose, sinnlose Stunden, und ich ging in ein französisches Café, in dem mich niemand kannte und wo ich das übliche » Gibt’s was Neues?« nicht mit einem » noch nicht« beantworten musste. Ich saß am Fenster und sah das Leben vorbeiziehen, sah es nach Uptown hinaufeilen. Ich sah drei junge Frauen Arm in Arm vorbeigehen, sie lachten, und mir fiel auf, dass ich eine solche Szene schon seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Es wirkte befremdlich.
Ich schrieb. Schrieb die Kolumne und über die Verlorenen. Ich schrieb über die Blumen an allen Feuerwachen, die sich dort auftürmten, bereits in fünf Schichten, und über die Kerzen, die niemals erloschen. Brennende Gebete, die die Verzweiflung überdauerten, denn es war ja noch gar nicht so lange her, und man wusste ja nie, auch wenn die Meisten schon traurige Gewissheit hatten. Wenn sie nachts alleine dalagen, dann wussten sie, dass dies der Anfang war, der erbarmungslose Anfang, der von nun an ihre Gegenwart sein würde, ihr Jetzt, ihre Zukunft, ihre Erinnerung. Ich schrieb über die spontanen Umarmungen in den Läden und über die täglich neuen Beerdigungen von Feuerwehrleuten und Polizisten. Beerdigungen, die den Verkehr auf den Straßen zum Erliegen brachten in einer Flut aus Ehrbezeugungen und Tränen. Ich schrieb über die verlorengegangene Stadtlandschaft, während ich auf unserer Lieblingsbank an der Promenade bei der Brooklyn Bridge saß, dem Ort, zu dem wir gern zum Nachdenken gegangen waren und wo wir uns ausmalten, wie unsere Leben wohl in drei, fünf oder zehn Jahren aussehen würden.
Aber vor allem schrieb ich über ihn, den ich nun Max nannte, meinen Bruder, unseren Freund, der nun schon seit zehn Tagen vermisst wurde. Und ich schrieb darüber, was ich an jenem Morgen verloren hatte. Den Zeugen meiner Seele, meinen schützenden Schatten in Kindertagen, als die Träume noch klein waren und für alle erreichbar. Als Süßigkeiten nur einen Penny kosteten und Gott ein Kaninchen war.
Nancy flog zurück nach L. A., um zu arbeiten. Sie war eigentlich noch nicht soweit, aber sie wollten, dass sie zurückkehrte, und ich sagte, sie werde sowieso nie soweit sein, also könne sie genauso gut gleich zurückfliegen.
» Ich überlege zurückzugehen«, sagte sie.
» Hierher nach New York?«
» Nein. Nach England. Es fehlt mir.«
» Dort ist auch nicht alles perfekt.«
» Kommt mir aber so vor, nach all dem hier.«
» Das hätte überall passieren können«, sagte ich. » Wirklich sicher ist man nirgends. Und so etwas wird wieder passieren.«
» Aber ich vermisse euch so sehr«, sagte sie. » Das Alltägliche.«
» Das ändert sich bestimmt gleich, wenn du dir wieder Detective Molly Crenshaws Pistolenhalfter umschnallst.«
» Dummkopf«, sagte sie.
» Dann komm nach Hause«, sagte ich und nahm sie in den Arm. » Wir brauchen dich.«
Und als sie die Haustür öffnete und die Eingangstreppe hinunterging, drehte sie sich noch einmal um und setzte ihre Sonnenbrille auf. » Wird schon schiefgehen, oder?«
» Was meinst du?«
» Das Fliegen. Ich werde doch gut ankommen, oder?«
» Du kommst immer gut an«, sagte ich.
Sie lächelte. Die Angst war ansteckend. Sogar die, die eigentlich immun dagegen waren, litten darunter.
*
An diesem Abend gingen wir essen, nur Charlie und ich, zum ersten und einzigen Mal, seit ich dort war. Wir gingen in ihr Restaurant, zu Balthazar, und wir saßen dort, wo sie immer gesessen hatten. Die Leute waren sehr rücksichtsvoll, fragten uns aber trotzdem, wie es uns gehe. Und Charlie sagte: » Okay, danke.«
Wir aßen Fruits de Mer, tranken Burgunder, und zum Hauptgang bestellten wir Steak Frites und tranken noch mehr Burgunder, machten alles so, wie sie es immer gemacht hatten. Und
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