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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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schokoladenbraune Labrador, der zu seinen Augen geworden war vor einem Jahr, als ich diese Aufgabe nicht mehr Vollzeit übernehmen konnte. Er sprang an die Tür und bellte, und ich sah Arthur lächeln, denn er kannte dieses Bellen, wusste, was es bedeutete. Und meine Mutter und mein Vater sprangen auf und rannten auf mich zu, alles schien seltsam normal in diesem ersten Moment des Wiedersehens. Die Risse wurden erst sichtbar, als ich hinauf in mein Zimmer ging.
    Ich hatte nicht gemerkt, dass sie hinter mir her kam, das Gewicht, das sie verloren hatte, ließ sie leiser auftreten. Vielleicht war ich aber auch nur abgelenkt von dem plötzlichen Anblick eines Fotos auf meiner Kommode, ein Foto von mir und Joe bei den Plymouth Marinetagen, als wir noch klein waren. Ein Foto, das ich bestimmt seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er hatte eine Matrosenmütze auf, über die ich damals am liebsten gelacht hätte, aber er trug sie ohne Ironie, also hatte ich es mir verkniffen. Meine Mutter nahm das Foto in die Hand und betrachtete es– berührte sein Gesicht mit ihren Fingern und strich sich dann über die Stirn.
    » Wir können uns glücklich schätzen, dass wir ihn hatten«, sagte ich.
    Meine Mutter stellte das Foto behutsam zurück.
    Schweigen.
    » Ich war nie jemand, der zum Überschnappen neigt, Elly, oder hysterisch wäre. Ich war in meinem Leben immer ziemlich rational, wenn ich also sage, er ist nicht tot, dann ist das nicht irgendein Wunschtraum oder bloße Hoffnung. Es ist völlig sachlich, ein klarer Gedanke.«
    » Okay«, sagte ich und machte mich daran, den Reißverschluss meiner Tasche zu öffnen.
    » Dein Vater glaubt, ich sei verrückt. Geht einfach weg, wenn ich solche Sachen sage, meint die Trauer mache mich wahnsinnig, lasse mich solche Sachen sagen, aber ich weiß es, Elly. Ich weiß es ich weiß es ich weiß es.«
    Ich hörte auf, meine Tasche auszupacken, vom verzweifelten Griff ihrer Worte zurückgehalten.
    » Wo ist er dann, Mum?«
    Sie wollte gerade antworten, als sie merkte, dass mein Vater in der Tür stand. Er sah sie an und kam dann zu mir, um mir einen Stapel alter Ausgaben der Cornish Times in die Hand zu drücken.
    » Dachte, das könnte dich interessieren«, sagte er und trat den Rückzug aus dem Zimmer an, wobei er es vermied, meine Mutter anzuschauen.
    » Bleib doch«, sagte ich, aber er zog es vor, mich nicht zu hören, und seine Schritte auf der Eichentreppe klangen schwer und traurig.
    Später fand ich ihn in seiner Werkstatt. Eine gebeugte Gestalt, plötzlich gealtert. Eine behelfsmäßige Lampe klemmte an einem hohen Regalbrett hinter ihm, und sein Gesicht schien wie weichgezeichnet im staubigen Licht. Seine Augen wirkten dunkel und traurig. Er blickte nicht auf, als ich eintrat, also ging ich zu dem alten Sessel hinüber und setzte mich. Es war der Sessel, den ich aus unserem Haus in Essex mitgebracht hatte, und der mittlerweile mit einem neuen braunorangen Baumwollstoff bezogen war.
    » Ich würde alles tun«, sagte er, » alles, um ihn zurückzuholen. Ich bete, und ich möchte ihr glauben, das möchte ich so sehr. Und ich habe das Gefühl, sie zu verraten. Aber ich hab die Bilder gesehen, Elly. Und jeden Tag lese ich von den Todesfällen.«
    Er nahm ein Stück Sandpapier und fing an, die Kanten des Bücherregals abzuschmirgeln, das er beinahe fertig hatte.
    » Ich habe immer gewusst, dass einmal so etwas passieren würde. Irgendein Unheil hing immer über dieser Familie. Etwas, das wartete. Ich habe keine Hoffnung mehr. Weil ich keine Hoffnung verdiene.«
    Er hielt inne und stützte sich auf die Werkbank. Ich wusste, von was er da wieder einmal sprach und sagte leise zu ihm: » Das ist alles so lange her, Dad.«
    » Nicht für ihre Familie, Elly. Für die ist es immer noch so, als wäre es erst gestern gewesen«, sagte er. » Und ihre Trauer ist jetzt meine Trauer. Der Kreis hat sich geschlossen.«

Ich lag auf der Bank, zitternd, bis die Nacht sich zu mir legte und der Mond versuchte, seinen Weg durch die Baumkronen zu finden. Doch die Blätter wollten nicht nachgeben, hielten tapfer stand in der plötzlichen Kälte, die dem Sonnenuntergang gefolgt war; sie würden nicht fallen– zumindest nicht heute Nacht.
    Die Geräusche von unsichtbaren Wesen und Regungen – sogar das Geräusch von schleichender Angst – waren mir nun schon vertraut und lieb geworden. Und ich atmete den düsteren Modergeruch ein, die erdige Kälte füllte meine Nasenlöcher und löschte damit die

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