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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Feuer, die in mir wüteten. Der Schlaf war mein. Unbelastet von Träumen schlief ich bis tief, tief in die frühen Morgenstunden, bis ich vom Regen geweckt wurde. Der Tag brach schon fast an, die Sonne kämpfte sich langsam durch und setzte dem Wald ihren Strahlenkranz auf. Ich richtete mich auf. Die untere Seite meines Körpers war trocken. Ich tastete in meiner Tasche nach einem angebissenen Schokoriegel. Er war aus dunkler Schokolade, bitter, Arthurs Lieblingssüßigkeit. Ich nahm immer einen mit, wenn wir einen Spaziergang machten. Ich brach ein Stück ab und ließ es mir im Mund zergehen. Ein bisschen zu bitter für ein Frühstück, aber ich war dankbar dafür.
    Zuerst hörte ich nur das Rascheln und wusste bereits, was es war, bevor ich es sehen konnte. Ich hatte es schon monatelang nicht mehr gesehen, vielleicht auch ein ganzes Jahr. Die dunklen, intensiven Augen tauchten aus einem Laubhaufen auf, gefolgt von dem Fell der zuckenden spitzen Nase. Es blieb vor mir stehen, als habe es irgendein bestimmtes Anliegen. Ich versuchte, es mit meinem Fuß wegzuscheuchen, aber diesmal schreckte es nicht zurück, sondern blieb sitzen und starrte mich an. Als mein Telefon klingelte, zuckte es nicht einmal zusammen, obwohl das Geräusch die matte Morgendämmerung schrill durchbrach. Es hielt seine Augen weiter auf mich gerichtet, als ich abhob und nervös » Hallo?« sagte. Und es starrte mich auch an, als ich ihrer Stimme lauschte, die jetzt so viel älter klang, als sie flüsterte: » Elly, ich kann nicht lang sprechen«, genauso wie einundzwanzig Jahre zuvor. » Hör mir zu, gib nicht auf. Er lebt, ich weiß, dass er am Leben ist. Vertrau mir. Elly. Du musst mir vertrauen.«
    Es wendete die Augen von mir ab.
    Ich duschte nicht, schlüpfte bloß in einen alten Fischerpulli, den ich vor fast fünfzehn Jahren gekauft hatte. Der Stoff hatte seine Elastizität längst verloren, und er hing schlaff über meine Hüften, und auch am Halsausschnitt war er schon ziemlich ausgeleiert. Joe hatte immer gesagt, er wäre mein Trost. Vielleicht hatte er recht. Er fühlte sich derb und rustikal an, ganz anders als die leichten Baumwollstoffe des Sommers. Und ich fühlte mich rebellisch, als sei der Winter schon zum Greifen nah.
    Arthur saß am Frühstückstisch als ich herunterkam, und lauschte seinem Taschenradio, ein einzelnes Kabel baumelte aus dem linken Ohr. Die beiden anderen hatten nur einen Zettel hinterlassen: » Sind bei Trago Mills Farbe kaufen.« Farbe kaufen? Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Es ist ein Anfang, war alles, was ich mir sagen konnte. Etwas, das sie zusammen unternehmen.
    » Kaffee, Arthur?«, fragte ich und riss ein Croissant auseinander.
    » Nein danke, Liebes. Ich hatte schon drei und hab schon Herzflattern.«
    » Dann besser nicht.«
    » Dachte ich mir auch.«
    Ich beugte mich hinunter, und Nelson kam auf mich zu. Ich rieb meine Nase an seiner, kraulte ihn hinter den Ohren und gab ihm ein Stück Gebäck. Erst zierte er sich, aber dann konnte er doch nicht widerstehen. Er versuchte so sehr, standhaft zu sein, aber meine Familie hatte ihn total verdorben. Von dem Tag, als er hier ankam, pflichtbewusst und voller guter Vorsätze, sahen wir nur die treue Seele in ihm und behandelten ihn auch so, bis sich seine Zielstrebigkeit in flatterhafte, tägliche Zerstreuung auflöste. Und als ich ihm nun den Bauch kraulte, fiel mir auf, dass seine frühere sehnige Geschmeidigkeit einer Rundlichkeit gewichen war. Denn er war zum Auffangbehälter für die Trauer meiner Eltern geworden und fraß mittlerweile alles, was ihm vor die Nase gehalten wurde; was meine Eltern wiederum davor bewahrte, ihren nagenden Kummer zu nähren.
    Ich trug meinen Kaffee zum Tisch hinüber und setzte mich.
    » Es ist so still hier ohne euch alle«, sagte er und schaltete das Radio ab. » Eure Abwesenheit hat mich alt werden lassen.«
    Ich streckte mich über den Tisch und nahm seine Hand.
    » Ich kann das alles gar nicht glauben. Ich dachte, diese Brutalität hätte ich hinter mir«, und er zog sein ordentlich gebügeltes Taschentuch heraus und putzte sich leise die Nase. » Ich bin jetzt soweit, Elly. Soweit, zu gehen. Die Angst ist weg, zusammen mit meiner Lebenslust. Ich bin so müde. Zu müde, um mich von denen zu verabschieden, die ich liebe. Es tut mir so leid, mein Liebling.«
    Ich küsste seine Hand. » Es gibt, glaube ich, eine neue Reiherfamilie auf dem Fluss. Dad hat sie neulich gehört. Die Jungen werden

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