Als Gott ein Kaninchen war
wir.
» Ich werde dich nie vergessen«, sagte Joe.
» Hab dir ja gesagt, dass du kein Raufbold bist«, sagte sie und zeigte auf seinen Mund.
Ich bin hier, aber gehöre dir nicht.
*
Ich lehnte mich an das Taxifenster, abwesend, still. Wir fuhren über die Brücke, die Scheinwerfer lichteten die Dämmerung, und Joe richtete sein Gesicht auf die Aussicht dahinter.
» Mein Gott«, sagte er, als die beleuchtete Welt seine Vorstellungskraft befeuerte, bis mir auf ganz naive Art und Weise klar wurde, dass er es sozusagen zum ersten Mal sah.
» Und wo waren die Türme?«, fragte er.
Charlie zeigte hin. Er nickte, und dann sagten wir nichts mehr; nichts über jenen Tag oder darüber, wo man ihn gefunden hatte. Oder dass diese Brücke immer seine Lieblingsbrücke war– alles zu seiner Zeit. Stattdessen folgten wir seinem Blick und spürten wieder einmal die Ehrfurcht vor dieser Stadt, die wir seit Jahren nicht mehr empfunden hatten.
Charlie bezahlte den Taxifahrer, und als wir ausstiegen, spürte ich plötzlich ein Frösteln, auf das ich nicht vorbereitet gewesen war.
» Das ist dein Zuhause«, sagte ich zu Joe und rannte die Treppe hinauf, in der Erwartung, er würde mir folgen. Aber er tat es nicht. Er schlenderte in die Mitte der Straße und sah sich in beide Richtungen um. Ich nehme an, er versuchte, seine Position festzustellen. Es machte ihn nervös, eine Umgebung zu betreten, die ihm Hinweise darauf liefern würde, wer er war.
Charlie klopfte ihm auf den Rücken, wollte ihn ermuntern, zur Tür zu gehen. » Komm«, sagte er ganz unbefangen.
Der Flur war erleuchtet, und ich konnte noch immer den Kerzenrauch von vor zwei Tagen riechen. An dem Abend hatte Charlie mich darauf vorbereitet, was mich erwarten würde, und wir hatten bis in die Morgenstunden ordentlich gebechert.
Im Haus war es warm, und die Beleuchtung warf Schatten um den Kamin und die Treppe und ließ die Räume seltsam groß wirken. Joe folgte mir hinein; er hielt inne und blickte sich schweigend um. Er betrachtete die Fotos an der Wand im Flur– eine dreiteilige Serie von Nan Goldin, für die er Tausende von Dollar bezahlt hatte–, aber er sagte nichts. Stattdessen rannte er die Treppe hoch, und wir hörten, wie er beide Flure entlangging, bis er wieder nach unten gerannt kam und an uns vorbei zur Küche eilte. Wir hörten, wie die Hintertür aufgemacht wurde. Das Geräusch von Schritten auf der Feuertreppe.
Ich sah ihn im Wohnzimmer wieder. Ich kniete vor dem Kamin und hatte einen Stapel dünner Holzscheite in der Hand.
» Das kann ich doch machen«, sagte er und fing an, sie auf das Bett aus Zeitungspapier zu schichten, wo sie nur noch auf die Kerze warteten. Es war einer der vielen Momente, in denen seine Erinnerung sich wie an einer Art Kreuzung teilte und ihm zwar den Zugriff auf das Wissen, wie man ein Feuer machte, erlaubte, aber nicht, wann er es zum letzten Mal gemacht hatte oder wer damals bei ihm war. Er drehte sich zu mir um und lächelte. Wir würden lernen müssen, viel zu lächeln, lächeln, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte, lächeln aus Höflichkeit, Angst oder Verletztheit– all diese Dinge, um die sich Familien sonst nicht zu kümmern brauchten, standen nun zwischen uns.
» Meinst du, du kannst mit ihnen reden?«, fragte ich ihn. » Es würde schon reichen, wenn sie nur kurz deine Stimme hören könnten.«
» Klar«, sagte er. » Wie du willst.«
Ich ließ ihn allein. Schnappte sonderbar wirkende Worte wie » daheim« und » es geht gut« und viel über » Grace« auf. Und ich wusste, dass er mit meiner Mutter sprach, dieser Frau, die sich in so vieles eingearbeitet hatte, seit er gefunden wurde. Einer Frau, die sich im Gespräch nicht aufdrängte, einer Frau, die noch das Quäntchen länger warten konnte, weil sie schon so lange gewartet hatte und es ihr genügte, dass er noch auf der Welt war.
Er fand uns in der Küche. Kam die Treppe herunter, als sei sie instabil. Ich reichte ihm ein Glas.
» Da«, sagte ich und schenkte ihm Wein ein. » Den mochtest du immer am liebsten.«
» Aha«, sagte er verlegen.
Wir sahen ihm beim Trinken zu.
» Schmeckt gut.« Er hielt das Glas gegen das Licht. » Ist der teuer?«
» Irre teuer«, sagte ich.
» Kann ich mir das leisten?«
» Denke schon. Du kannst ja morgen mal deine Konten checken, wenn du willst.«
» Bin ich denn reich?«
» Arm bist du nicht.«
» Hab ich genug, um was abzugeben?«
» Weiß ich nicht«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »
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