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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Möchtest du es denn weggeben?«
    » Ich weiß nicht, was ich will«, sagte er und schenkte sich nach.
    Anfangs hörte er sich zwar meine Geschichten von zu Hause und meinem Leben in London an, aber irgendwann fing er an, plötzlich ins Bett zu wollen oder verließ einfach das Zimmer. Das war das Schlimmste, die unvermittelte Langeweile, die ihn packte, bei Menschen, an die er sich nicht erinnerte. Die er gar nicht kannte, die er überhaupt nicht kennen wollte.
    Er hatte bloß Interesse an Geschichten von Grace oder Filmen, die er im Krankenhaus angeschaut hatte, oder von Gerry aus der Intensivstation. Kostbare Geschichten aus seinem Leben nach dem Unfall, den fünf Wochen seines Lebens, die in seiner Erinnerung nachhallten. Das Leben, von dem wir kein Teil waren.
    » Was schreibst du da?«, fragte er mich eines Tages nach einer Kontrolluntersuchung im Krankenhaus.
    » Eine Zeitungskolumne. Ist mein Job.«
    » Um was geht es?«
    » Um dich zum Teil. Ich nenne dich Max. Und um Charlie. Und um Jenny Penny.«
    » Wer ist denn das?«
    » Eine alte Freundin. Du hast sie auch gekannt. Sie ist jetzt im Gefängnis. Hat ihren Mann umgebracht.«
    » Nette Freundin«, sagte er lachend. Gleichgültig.
    Das brachte mich total aus dem Konzept. Er brachte mich aus dem Konzept.
    » Ja, das ist sie«, sagte ich leise.
    Wir gingen so nah hin, wie wir konnten. Der Geruch von verbranntem Öl war dem Gestank des Unaussprechlichen gewichen. Er las die fotokopierten Zettel, auf denen die Vermissten abgebildet waren, und irgendwo, das wusste ich, fühlte er sich noch immer als einer von ihnen. Wir trennten uns, und ich sah zu, wie er sich an fünfzig, vielleicht sechzig lächelnden Gesichtern vorbeiarbeitete, bis er plötzlich vor einem stehenblieb und es berührte.
    » Elly«, sagte er und winkte mich zu sich heran. » Das bin ich.« Und dort, an das Bild der netten Großmutter geschmiegt, lächelte uns, umrahmt von ausgefransten, abgegriffenen Rändern, sein Gesicht entgegen; hinter ihm die schwarz-weiße Ahnung eines Pools. Er nahm das Bild ab und faltete es zusammen; steckte es in seine Tasche.
    » Lass uns nach Hause gehen«, sagte ich.
    » Nein, gehen wir weiter.«
    Ich blickte zurück auf den leeren Fleck und wusste, dass ich mich eigentlich glücklicher fühlen sollte.
    *
    Wir waren zu weit gegangen. Er hatte sich übernommen, und schon bald war er vor Erschöpfung ganz blass. Wir machten ganz langsam, als wir über die Brücke gingen, und ich erzählte ihm, wie sehr er die Brücke immer gemocht hatte, dass er vermutlich auch in der Nacht, in der er überfallen worden war, diesen Weg eingeschlagen hatte. Wir gingen hinunter zur Promenade, zu der Bank, auf der wir immer gesessen hatten; der Bank, auf der er von dem jungen Mann aus Illinois gefunden worden war, dem jungen Mann, den wir später als Vince kennenlernen würden.
    » Sind wir oft hier gewesen?«
    » Ich denke schon. Wenn wir uns die Beine vertreten wollten, wenn wir über Probleme nachdenken mussten. Hier ging das besser, mit Blick über die Stadt. Als Kinder haben wir immer von dieser Stadt geschwärmt. Eigentlich nicht wirklich Kinder– du weißt schon, Heranwachsende eben. Es war unsere kleine Flucht, der Ort, an den wir einmal fahren würden: › New York, New York‹. Jedermanns Traum. Hier wollten wir das Leben in vollen Zügen genießen können. Und du bist dorthin weggelaufen, und hier bist du aufgeblüht.«
    » Ich bin weggelaufen?«
    » Ja. In gewisser Weise sind wir das beide. Nur du ganz konkret, physisch, das ist alles.«
    » Vor was bin ich denn weggelaufen?«
    Ich zuckte mit den Achseln. » Vor dir selbst?«
    Er lachte. » Dann bin ich ja nicht weit gekommen, was?«
    » Nein, nicht wirklich.«
    Er zog den zusammengefalteten Zettel aus der Tasche und betrachtete sich darauf.
    » War ich ein netter Mensch?«
    Es war seltsam, ihn von sich selbst in der Vergangenheit sprechen zu hören.
    » Ja. Du warst witzig und warmherzig. Großzügig. Kompliziert. Aber sehr lieb.«
    » Was für Probleme hatte ich?«
    » Die gleichen wie alle anderen auch.«
    » Meinst du, ich bin deshalb in dieser Nacht hierhergekommen?«
    » Vielleicht.«
    » Ich habe Charlie gefragt, ob ich einen Freund hatte.«
    » Und was hat er gesagt?«
    » Er sagte, ich hätte nie einen Freund gehabt. Und dass ich es den Menschen, die mich liebten, schwer machte. Weißt du, warum ich das getan habe?«
    Ich schüttelte den Kopf. » Warum machen Menschen so etwas?«
    Er gab keine Antwort.
    » Ich habe

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