Als Gott ein Kaninchen war
ganz einfach erregend. Und er wurde von einem jungen Mann gefunden, der ihn nach Feuer fragen wollte, einem Mann, der die Verletzungen an seinem Mund, das geschwollene Gesicht und die Platzwunde am Kopf aus der Nähe sah. Dieser junge Mann rief die Polizei und rettete damit sein Leben.
Sie fanden nichts bei ihm, keinen Geldbeutel, kein Telefon, keine Schlüssel, kein Geld, keine Uhr. Nichts, das verraten hätte, wer er war oder woher er kam. Er trug bloß ein ausgewaschenes pinkes T-Shirt, eine alte Chinohose und braune Flipflops an den Füßen. Er spürte die Kälte nie. Nicht wie ich. Erinnere Dich, wie ich immer gezittert habe.
Sie brachten ihn schleunigst in die Notaufnahme, wo sie die Wundflüssigkeit ableiteten und seine Kopfverletzungen behandelten, bis die Schwellung zurückging. Dann verlegten sie ihn auf die Intensivstation, zusammen mit vier anderen Patienten, und dort blieb er und wartete darauf, dass sein Gehirn wieder seinen Dienst aufnahm. Dass es seinen restlichen Körper sanft daran erinnerte, aufzuwachen und zu leben. Und dort lag er, recht friedlich anscheinend, und in Sicherheit, bis zu dem Morgen, an dem er erwachte und versuchte, sich den Schlauch aus dem Mund zu ziehen. Er wusste weder seinen Namen, noch wo er wohnte oder was passiert war. Oder was dann passierte. Er weiß es noch immer nicht.
Das sind bisher die Tatsachen. Wir haben es eben erst erfahren. Ich werde Dir Bescheid geben, Jenny, sobald wir mehr wissen.
Ell xx
Ihr Name war Grace. Grace Mary Goodfield genaugenommen. Sie war ausgebildete Krankenschwester und das schon seit sechsundzwanzig Jahren und hatte noch nie daran gedacht, in Rente zu gehen. Ihre Familie stammte aus Louisiana, und sie machte dort noch heute gern Urlaub.
» Schon mal dort gewesen?«
» Nein, noch nicht«, sagte Charlie, an dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegneten.
Sie lebte allein in Williamsburg, hatte die Parterrewohnung in einem alten Sandsteinhaus, ein glücklicher Ort, gute Nachbarn auf allen Seiten. » Für mich reicht’s«, hatte sie gesagt. » Die Kinder sind schon lang aus dem Haus; der Mann schon lang weg.«
Wie so viele andere hätte sie am elften September gar keinen Dienst gehabt, denn in dieser Woche hatte sie Nachtschicht, und am Vormittag wollte sie eigentlich schwerere Vorhänge anbringen, in Vorbereitung auf den bevorstehenden Herbst. Aber sie war sogar noch bevor die Türme einstürzten ins Krankenhaus geeilt, nahm ihren Posten ein, wie all die anderen, und erwartete die Flut von Überlebenden und ihre Geschichten vom Glück im Unglück aus den oberen Stockwerken. Aber es kam nicht dazu.
Als sie in der Notaufnahme gerade nicht gebraucht wurde, ging sie in ihr Büro, das auf dem Stockwerk lag, wo sich auch die Intensivstation befand. Sie ging durch die Zimmer, um Mut zu machen, Kekse zu verteilen, und das alles immer mit einem Lächeln. Denn sie war die beste Schichtleiterin, und sie kannte ihre Mitarbeiter, kannte ihre Patienten. Nur den Neuen nicht, den Bewusstlosen. Keiner kannte ihn.
Sie nannte ihn » Bill« nach einem Exfreund, der immer am liebsten geschlafen hatte. Sie setzte sich an sein Bett, wenn die anderen Besuch hatten, hielt seine Hand und erzählte ihm aus ihrem Leben oder was sie am Abend zuvor gekocht hatte. Sie suchte ihn sogar auf den Vermisstenlisten, aber es war sinnlos, denn es gab Tausende, die vermisst wurden. Die Polizei versuchte zu helfen, aber sie konnten nichts tun, solange er nicht zu sich gekommen war, und dann wurden ihr Einsatz und ihre Mittel woanders gebraucht; hinbeordert zu dem Grauen, das sich jenseits dieser geschützten Wände entfaltet hatte.
Sie sah sich seine Kleidung an, diese spärlichen Habseligkeiten in der Tüte in einem Schließfach, aber sie konnte sich kein Bild von seinem Leben zusammenbasteln. Diese sinnlose Anonymität machte ihr Angst. Sie machte sich Sorgen, dass er verloren sterben würde, ohne dass jemand davon wusste; ohne dass seine Freunde oder seine Eltern es je erfahren würden. » Ich bin für dich da«, sagte sie eines Nachts, bevor sie nach einer besonders harten Schicht nach Hause ging.
Sie brachte verschiedene Düfte und Öle mit und hielt sie ihm unter die Nase, in der Hoffnung, irgendetwas könnte ihn wecken. Sie führte sein Gehirn an die Gerüche von Lavendel, Rosen und Weihrauch heran, auch mit Kaffee versuchte sie es und mit ihrem neuesten Parfüm– Chanel No°5–, das ihr Lisa von der Notaufnahme aus Paris mitgebracht hatte. Sie hielt die
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