Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
Vom Netzwerk:
aber sie machte es trotzdem. Ein Mann ging ran. Er klang nicht verärgert, bloß müde. Sie fragte ihn, ob einer ihrer Sänger vermisst werde. » Ja, einer«, sagte er.
    » Ich glaube, ich habe ihn gefunden«, sagte sie. » Ihm fehlt ein Zahn.«

Er stand mit dem Rücken zu mir, eingerahmt vom Fenster. Die Bäume dahinter fingen an, sich zu verfärben. Ein Flugzeug flog von rechts nach links, streifte seinen Kopf, zog einen weißen Kondensstreifen hinter sich her, der im Sonnenlicht erstrahlte. Draußen war ein ganz normaler Tag. Drinnen stand eine Vase voll mit Blumen, einfache rosafarbene Rosen, die Charlie ein paar Tage zuvor mitgebracht hatte; etwas anderes hatte er auf die Schnelle nicht auftreiben können. Ich kam mit leeren Händen. Plötzlich fühlte ich mich befangen, vielleicht sogar verängstigt darüber, was er alles nicht war. Er trug das Hemd, das ich ihm aus Paris mitgebracht hatte, aber das wusste er nicht. Er wusste auch nicht, wer ich war.
    Ich hatte tagelang Zeit gehabt, mir diesen Moment vorzustellen. Von dem Augenblick an, als ich den Anruf bekam, als wir das vom Sturm gebeutelte Boot zurück ans Ufer steuerten und, völlig außer uns, den Hügel hinauf zum Haus und zu meinen Eltern darin rannten. Von dem Augenblick an, als ich vor ihnen stand und ihnen erzählte, was Charlie gesagt hatte, und meine Mutter rief: » Egal, wir haben ihn wieder und das genügt.« Und von dem Augenblick an, als mein Vater sie ansah und sagte: » Es tut mir leid«, und sie ihn festhielt und rief: » Er ist zu uns zurückgekehrt, Liebling. Dir muss nichts leidtun.«
    Charlie ließ meine Hand los und bedeutete mir, weiterzugehen.
    » Hi«, sagte ich.
    Er drehte sich um und lächelte, sah genauso aus wie immer, erholter vielleicht, keine Verletzungen mehr, genauso wie immer.
    » Bist du Elly?«, erkundigte er sich, hob die Hand zum Mund und fing an, an seinen Nägeln zu kauen; eine Geste, die ihn zu ihm machte, zu ihm. » Meine Schwester.«
    » Ja.«
    Ich ging auf ihn zu, wollte ihn umarmen, aber er hielt mir stattdessen die Hand hin, und ich nahm sie. Sie fühlte sich kalt an. Ich zeigte auf seinen Mund.
    » Das ist übrigens beim Rugbyspielen passiert.«
    » Ah, ich hab mich schon gefragt«, sagte er.
    Ich hatte die Zahnlücke seit Jahren nicht gesehen, seit dem Tag, an dem er sich die künstliche Krone an einem Stück harter Krabbenschale herausgebrochen hatte. Ich fragte mich, ob ich es ihm sagen sollte. Ich ließ es bleiben. Er sah Grace an und zuckte mit den Schultern. » Rugby«, sagte er.
    » Schau, hab doch gesagt, dass du kein Raufbold bist, Joe.«
    Sie sagte » Joe«, als sei ihr das Wort völlig neu.
    Langsam. Das hatten die Ärzte uns gesagt. Er war wie ein leeres Fotoalbum. Ich wollte am liebsten alle alten Fotos direkt wieder einkleben, aber die Ärzte meinten, es sei wichtig, dass er neue mache. » Langsam«, sagten sie. Meine Eltern hatten Charlie und mir die Aufgabe anvertraut, ihn nach Hause zu bringen. Aber die Ärzte sagten » noch nicht«. Langsam. Zurückarbeiten. Er muss es selbst entwirren. Schön langsam.
    Ich sah sie im Flur, als ich mit meinen Eltern telefonierte. Sie band sich gerade die praktischen, schwarzen Schuhe zu, die den Kriterien der Bequemlichkeit entsprachen, nicht denen der Mode. Was will ich schon mit Mode, konnte ich sie fast sagen hören. Meine Eltern wollten, dass ich sie ans Handy holte, dankten ihr, luden sie nach Cornwall ein, sie könne bleiben, solange sie wolle. » Für immer«, platzte mein Vater heraus, und natürlich meinte er es auch so. Grace Mary Goodfield, die so wundersam nach Chanel und Hoffnung roch. Ich werde mich mein Leben lang an dich erinnern.
    Charlie und ich hatten uns schon von allen verabschiedet, saßen auf dem Bett und warteten.
    » Tja, Joe«, sagte Grace. » Es ist soweit.«
    » Ich weiß.«
    Sie streckte die Arme aus, als er auf sie zuging.
    » Danke«, sagte er. » Danke.«
    Und dann flüsterte er ihr etwas zu, das keiner von uns verstehen konnte.
    » Wir bleiben in Kontakt, und bring deine Tante dazu, dass sie Autogramme für alle schickt«, sagte sie. » Und ein Kleidungsstück für die Tombola wäre nett«, fügte sie lachend hinzu.
    » Wir schicken sie persönlich her. Dann kann sie ein paar Runden auf Station drehen«, sagte ich.
    » Das wird ihr guttun«, sagte Charlie.
    » Umso besser«, sagte Grace.
    Peinliches Schweigen.
    » Und vergiss nicht– Louisiana! Im Frühling immer eine Reise wert.«
    » Dann also im Frühling«, sagten

Weitere Kostenlose Bücher