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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Ort zu Ort reist«, sagte Jenny Penny.
    » Seid ihr viel herumgereist?«
    » Ziemlich viel.«
    » Macht das Spaß?«
    » Nicht immer«, sagte sie.
    » Warum?«
    » Weil die Leute uns verfolgen.«
    » Wer?«
    » Frauen.«
    Sie lebten in einer Übergangswelt mit Übergangsmännern. Eine Welt, die sich so leicht und schnell wie Legosteine zusammensetzen und wieder auseinanderbauen ließ. Stoff hing in wallenden Streifen von den meisten Wänden, und um den Türrahmen prangte ein Muster aus pinken und roten Handabdrücken, die im trüben Licht wie blutige Spuren an einem Tatort aussahen, die nach dem Ausgang tasteten. Überall auf dem Boden lagen Teppiche, und in der Ecke, auf einem Buch mit Aktbildern, stand eine Lampe mit einem Schirm aus purpurnem Stoff. Sie tauchte den Raum in ein puffartiges Licht– nicht dass ich damals gewusst hätte, was ein Puff war–, aber es war rot und unheimlich und drückend und weckte mein Schamgefühl.
    Ins obere Stockwerk ging ich nur selten, denn meist schlief dort gerade der jeweils aktuelle Freund, der mit seinen Vorgängern und Nachfolgern immer eine nächtliche Existenz aus Spätschichten und noch späteren Trinkgelagen zu teilen schien. Aber ich hörte häufig Schritte von oben oder die Klospülung und sah den sorgenvollen Blick auf Jennys Gesicht.
    » Schsch«, sagte sie dann. » Wir müssen leise sein.«
    Aufgrund dieser Einschränkung spielten wir auch selten in ihrem Zimmer– nicht dass es dort viel zum Spielen gegeben hätte–, aber sie hatte eine Hängematte, die mich sehr interessierte. Sie war vor einem Poster aufgespannt, das friedliches, blaues Meer zeigte.
    » Ich schaue das Meer an, schaukle und träume«, sagte sie stolz zu mir. » Die versunkene Stadt Atlantis ist da auch irgendwo. Ein Abenteuer wartet auf mich.«
    » Warst du schon mal am Meer?«, fragte ich.
    » Nicht wirklich«, sagte sie, wandte sich ab und wischte einen kleinen Handabdruck weg, der die Mitte ihres Spiegels verschmierte.
    » Nicht mal in Southend?«, hakte ich nach.
    » Da war Ebbe«, erwiderte sie.
    » Das Meer kommt wieder, weißt du.«
    » Meiner Mutter war es zu langweilig, darauf zu warten. Aber ich konnte es riechen. Ich glaube, ich würde das Meer mögen, Elly. Ich weiß, dass ich es mögen würde.«
    Nur einmal bekam ich einen der Freunde zu Gesicht. Ich ging hoch, um auf die Toilette zu gehen, und weil ich allein und neugierig war, schlich ich mich in Mrs Pennys Zimmer. Darin war es warm und muffig, und am Fußende des Bettes war ein großer Spiegel angebracht. Ich konnte ihn nur von hinten sehen. Ein nackter Klotz von einem Rücken, der im Schlaf genauso grobschlächtig wirkte wie vermutlich auch in wachem Zustand. Nicht einmal der Spiegel gab mir sein Gesicht preis, sondern nur mein eigenes, als ich wie hypnotisiert neben der Wand zu meiner Linken stand. Auf diese Wand hatte Mrs Penny mit Lippenstift wieder und wieder » Ich bin ich« geschrieben, bis die vielfarbigen Formen in ein verworrenes Bedeutungschaos übergingen, das schwermütig sagte: » Bin ich ich«.
    Ich war völlig fasziniert von dem Raum für Fantasie, den es in diesem Zuhause gab, ganz gleich, wie seltsam es auch erscheinen mochte. Dies hier hatte wenig mit der friedlichen Symmetrie meines Alltags zu tun: Reihenhäuser mit ihren Terrassen und rechteckigen Gärten und den täglichen Routinen, so verlässlich wie stabile Stühle. Dies war keine Welt, in der die Dinge zusammenpassten oder sich auch nur einfügten. Es war eine Welt bar jeder Harmonie. Es war eine Welt des Theaters, wo Farce und Tragödie um Vorherrschaft kämpften.
    » Es gibt Leute, die geben, und Leute, die nehmen«, sagte Mrs Penny, als wir uns zu süßem Gebäck und Saft hingesetzt hatten. » Ich bin jemand, der gibt. Was bist du, Elly?«
    » Sie ist eine, die gibt, Mum«, sagte Penny beschützend.
    » Frauen geben, Männer nehmen«, orakelte Mrs Penny.
    » Mein Vater gibt viel«, sagte ich. »Eigentlich ist er die ganze Zeit am Geben.«
    » Dann ist er ein seltenes Exemplar«, sagte sie und schnitt dann schnell ein anderes Thema an, eines, bei dem keiner widersprechen konnte. Als Jenny Penny das Zimmer verließ, griff ihre Mutter nach meiner Hand und fragte, ob ich mir schon einmal aus der Hand habe lesen lassen. Sie sei ausgesprochen begabt im Handlesen, sagte sie, außerdem auch im Kartenlegen und mit Teeblättern. Sie könne alles lesen; das läge an ihrem Zigeunerblut.
    » Auch Bücher?«, fragte ich harmlos.
    Sie wurde rot, und sie lachte, aber

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