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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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ihr Lachen klang verärgert.
    » Los, Kinder!«, sagte sie, als Jenny wieder erschien. » Ich habe genug von euren langweiligen Spielchen, wir gehen jetzt aus.«
    » Wohin?«, fragte Jenny Penny.
    » Überraschung«, sagte ihre Mutter auf diese schreckliche Singsang-Art. » Du magst doch Überraschungen, oder, Elly?«
    » Ähm«, machte ich, nicht sicher, ob das auch galt, wenn ich mich in ihrer Obhut befand.
    » Hier– Mäntel!«, befahl sie und warf sie uns im Vorbeigehen zu, während sie bereits zur Tür stürmte.
    Sie war eine schlechte, unberechenbare Autofahrerin und benutzte ihre Hupe als Rammbock, um sich rein- oder vorbeizudrängeln, wo immer sie es für nötig hielt. Der verbeulte Wohnwagenanhänger klapperte hinter uns her und schaukelte bedrohlich um die Kurven, ratterte Gehsteigkanten hoch und verfehlte nur um Haaresbreite einen Fußgänger.
    » Warum hängen wir ihn nicht ab?«, hatte ich noch vorgeschlagen, ehe wir losfuhren.
    » Geht nicht«, hatte sie gesagt und den Motor im ersten Gang aufheulen lassen. » Er ist fest. Angeschweißt. Wo ich hinfahre, fährt auch er hin. Wie mein kleines Mädchen«, und sie lachte lauthals.
    Jenny Penny schaute hinunter auf ihre Schuhe. Ich schaute auf meine. Ich sah, dass der Boden übersät war mit Coladosen und Taschentüchern und Bonbonpapieren und etwas Merkwürdigem, das aussah wie ein schlaffer Luftballon.
    Vor uns tauchte die Kirche auf, und, ohne zu blinken, bogen wir scharf in den Parkplatz ein. Hupen ertönten. Fäuste wurden drohend gereckt.
    » Leck mich!«, schimpfte Mrs Penny, als sie ungeschickt hinter dem Leichenwagen parkte: ein schriller Ausdruck des Lebens, der dem Transportmittel der Verblichenen spottete. Man forderte sie auf umzuparken. Sie tat es widerwillig.
    » Meine Güte«, sagte sie, » als würde ihn das kümmern?«
    » Ihn sicher nicht«, sagte der Bestatter. » Aber wir können so den Sarg nicht ausladen.«
    Wir betraten die Kirche, Mrs Penny in unserer Mitte, und hielten uns an den Händen. Ihre vorgebeugte Haltung verkörperte Traurigkeit. Sie führte uns zu einer Kirchenbank und reichte Taschentücher herum. Blickte um sich und lächelte die wirklich Trauernden sanftmütig an. Sie merkte die Seiten im Gesangbuch ein und legte sich das Kniekissen zurecht. Dann kniete sie nieder und versenkte sich ins Gebet. Ihre Bewegungen waren fließend und anmutig– profihaft?–, und von ihren Lippen kam ein seltsames Geflüster, das sie nicht einmal zum Einatmen unterbrach. Und zum ersten Mal, seit ich sie kannte, wirkte sie so, als gehöre sie wahrhaftig dazu.
    Als sich die Kirche langsam füllte, zog Jenny Penny mich zu sich hin und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie schob sich aus der Sitzbank und huschte an der Seitenwand entlang zu einer massiven Holztür, auf der »Chorraum« stand. Wir traten ein. Der Raum dahinter war leer und fühlte sich irgendwie undurchdringlich an. Unangenehm.
    » Hast du das schon mal gemacht?«, wollte ich wissen. » Auf eine Beerdigung gehen, meine ich?«
    » Einmal«, sagte sie und klang dabei nicht besonders interessiert. » Schau!« Sie ging hinüber zu einem Klavier.
    » Hast du schon einmal eine Leiche gesehen?«, fragte ich.
    » Jap. In einem Sarg. Der Deckel war auf. Sie wollten, dass ich sie küsse.«
    » Warum?«
    » Weiß Gott.«
    » Wie hat es sich angefühlt?«
    » Als ob man einen Kühlschrank küsst.«
    Sie drückte eine Taste, und ein reiner Ton erklang.
    » Vielleicht solltest du besser nichts anfassen«, meinte ich.
    » Ist schon okay. Keiner kann uns hören«, sagte sie und drückte erneut auf die Taste. Bing, bing, bing. Sie schloss die Augen. Atmete einen Moment lang konzentriert. Sie hob die Hände kurz vor ihre Brust und legte sie dann blind auf die weißen und schwarzen Tasten vor sich.
    » Kannst du etwa spielen?«, flüsterte ich.
    » Nein«, sagte sie, » aber ich will was ausprobieren«, und als sie dann die Tasten drückte, überfiel mich wie aus einem Hinterhalt die schönste Musik, die ich je gehört hatte. Ich sah, wie sie sich wiegte, überwältigt. Die Verzückung auf ihrem Gesicht, das Leuchten. In diesem Moment sah ich sie jemand sein; frei von den Zwängen und der verheerenden Kritik, die jetzt und für immer ihre Art verfälschte. Sie war ganz. Und als sie die Augen öffnete, glaubte ich, wusste auch sie es.
    » Noch mal«, sagte ich.
    » Glaub nicht, dass ich das könnte«, meinte sie traurig.
    Plötzlich war die Kirche erfüllt von den Tönen der Orgel. Die Musik wurde von

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