Als Gott ein Kaninchen war
den Passformalitäten eines wichtigen Kunden aufzutreten. Kurz bevor er das Hotel wieder verlassen wollte, ging in der Eingangshalle eine Bombe hoch. Zwei Leute starben, und unzählige andere wurden verletzt. Und wenn er nicht so dringend aufs Klo gemusst hätte, dann wäre er an diesem traurigen Tag womöglich auch auf der Liste der Opfer gelandet. Doch stattdessen hatte ihm seine schwache Blase das Leben gerettet.
Die Wochen zogen ins Land, aber statt einzusehen, dass er beide Male, da ihn der Tod streifte, einfach mächtig viel Glück gehabt hatte, gelangte mein Vater zu der Überzeugung, dass der rachsüchtige Schatten der Gerechtigkeit bedrohlich näher rückte. Er glaubte, es sei nur mehr eine Frage der Zeit, bis dieser ihn endlich packen würde und er feststellen müsste, dass alles ein Ende hatte. Dass sein Leben tatsächlich dahin war.
Zusehends wurden Fußballwetten zur Lebensader meines Vaters– oder zu einer Sucht. Ein Gewinn wurde existenziell wichtig für ihn, sodass er sich an so manchem Morgen einbildete, er hätte bereits gewonnen. Dann saß er am Frühstückstisch, zeigte auf die Fotos in einem Magazin und fragte: » Welches Haus sollen wir uns heute kaufen? Das hier oder lieber das?« Und ich betrachtete diesen verblendeten Mann, der sich als mein Vater verkleidet hatte, und griff schweigend nach einem Stück Toastbrot. Er hatte sich früher nie Gedanken über Geld gemacht, und vermutlich tat er das auch jetzt nicht, aber das Gewinnen war zu einem Vertrauenstest für ihn geworden. Er brauchte einfach einen Beweis dafür, dass er noch immer ein Glückspilz war.
*
Ich entschied mich jede Woche für dieselben Zahlen: mein Geburtsdatum, Jenny Pennys Geburtsdatum und Weihnachten– alles Tage, die mir wichtig waren. Mein Bruder nahm nie Zahlen, sondern schloss lieber die Augen und ließ den Bleistift über den Kästchen schweben und kreiste über den Teamnamen wie beim Gläserrücken. Er glaubte, er werde vom Glücksgott geleitet oder sei sonst wie legitimiert, und dass ihn das von anderen unterschied. Ich sagte ihm, was ihn von anderen unterscheide, seien » diese Schuhe«, die er nachts heimlich anzog.
Meine Mutter dagegen wählte einfach irgendwas. » Lass mal sehen«, pflegte sie zu sagen, und ich seufzte, weil sie überhaupt keine Methode hatte. Wenn sie » lass mal sehen« sagte, wusste ich, dass sie bloß aufs Geratewohl entschied, und diese Willkürlichkeit ärgerte mich. Es war, als ob jemand gedankenlos eine Orange ausmalte und dabei einen blauen Stift verwendete. Ich war überzeugt, das sei der Grund dafür, dass wir nie gewannen, aber mein Vater kreuzte trotzdem das Feld » Keine Reklame« an und legte den Wettschein aufs Kaminsims, zusammen mit dem abgezählten Kleingeld. Und wartete dann auf seine Abholung Mitte der Woche. Und immer wenn er das tat, gelobte er: Wenn erst mal Samstag ist, wird sich unser ganzes Leben ändern.
An diesem einen Samstag warteten wir an der Seitenlinie eines Rugbyfeldes darauf, dass sich unser Leben änderte, für uns scheinbar ein Ort so gut wie jeder andere. Für meinen Bruder war es das erste Rugbyspiel als Teammitglied überhaupt. Dieser Junge, dessen Vorstellung von einer Kontaktsportart nur sehr vage war, hopste nun aufgeregt auf und ab und konnte kaum die zweite Halbzeit des Spiels erwarten, wie jeder andere normale Junge auch. Doch normal war ich bei ihm nicht gewöhnt. Im Jahr zuvor war er auf die weiterführende Schule gekommen, eine Privatschule, für die sich mein Vater einen Arm und ein Bein abgehackt hätte (die beiden anderen würde er für meine Ausbildung aufheben, sagte er), und in der er sich neu erfand, und nun völlig anders war als der Junge, den ich kannte. Ich mochte sie beide, machte mir jedoch Sorgen, ob der neue Bruder mit den normalen Interessen auch mich noch mögen würde. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich plötzlich so zerbrechlich an wie eine Eierschale.
Ein anderer Spieler kam zu meinem Bruder gerannt und flüsterte ihm etwas zu. » Taktik«, sagte mein Vater. Mein Bruder nickte, beugte sich hinunter und verrieb Erde zwischen seinen Händen. Mir stockte der Atem. Es war ein so unnatürliches, seltsames Verhalten, und ich erstarrte im Hinblick auf die Konsequenzen schon einmal vorbeugend. Doch wieder einmal gab es keine.
Eine beißende Kälte hatte sich auf unserer Seite des Spielfelds breitgemacht, und die lustlose Sonne, die uns vorher noch erfreut hatte, spielte nun Verstecken hinter den hohen Türmen der
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