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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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blutenden Fuchs wegzuziehen. Mr X machte sich los und stolzierte den stillen Korridor entlang auf die Klägerin zu. Seine Absätze klapperten arrogant auf dem Steinboden, und als er an ihr vorbeiging, schrie er sie nicht etwa wütend an, er beugte sich stattdessen zu Jean Hargreaves hinunter, flüsterte etwas und zwinkerte ihr zu. Und in diesem Moment wusste mein Vater Bescheid. Nancy sagte, er sei erstarrt und hätte sich an der Wand abstützen müssen; er wollte sich aus seiner eigenen Haut befreien, etwas, das er von da an sein ganzes Leben lang vergeblich versuchen würde.
    Zwei Wochen später beging Jean Hargreaves Selbstmord, und während sie zwanzig Stockwerke hinunterstürzte, verlor mein Vater den Glauben an alles; aber vor allem an sich selbst.
    Mein Vater ging auf dem Asphalt in die Knie, während Autos in beide Richtungen an ihm vorbeifuhren. Das leise Brummen des Verkehrs wetteiferte mit dem seiner Vergangenheit. Die Juniluft bauschte sein Hemd auf und trocknete seine feuchtkalte Haut– eine illegitime, aber willkommene Empfindung in seiner Lebenserinnerung. Meine Mutter streichelte ihm übers Haar.
    » Ich liebe dich«, sagte sie, aber mein Vater konnte sie nicht ansehen. Es war das letzte Kapitel seines Zusammenbruchs, und der Moment, in dem sein Glas völlig leer war, und die Leere darin nur mehr schicksalsergeben alle weiteren Entscheidungen erwartete.

Träge ging der Juni in den Juli über. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte herunter, und das würde auch noch vier Stunden lang so weitergehen. Ich wünschte, ich hätte meinen Hut aufgesetzt: den weißen, abgelegten Krickethut, den mir Charlie letzten Monat überlassen hatte. Ich wusste, dass ich spät dran war und rannte keuchend die Straße entlang. Ich spürte, wie ein kleines Rinnsal Schweiß meinen Rücken hinunterlief, und versuchte mir einzureden, es sei eher kühl und angenehm als warm und feucht. Ich steckte meine Hand in die Hosentasche und brachte die klirrenden Münzen zum Schweigen, die ich bald gegen ein Eis eintauschen würde oder zwei.
    Ich hatte Jenny Penny gerade vom Bolzplatz nach Hause begleitet, wo sie gestolpert war und sich mit den Haaren in einem Zaun verfangen hatte. Ein ganzes Büschel blieb daran hängen wie Schafswolle, und sie schrie vor Schmerz. Sie war sich sicher, dass sie nun ein Glatzkopf sei, aber ich sagte ihr, dass es da schon ein bisschen mehr bräuchte, damit sie ein so großes Wort benutzen könnte. Das beruhigte sie auch für zehn Minuten, bis sie sich heulend in die Arme ihrer Mutter warf.
    Ich bog um die Ecke und rannte zur Bushaltestelle, wo mein Bruder schon auf mich wartete und auf seine Armbanduhr zeigte.
    » Du bist zu spät«, sagte er.
    » Ich weiß. Aber Jenny Penny wäre beinahe gestorben«, sagte ich.
    » Da ist der Bus«, sagte er, wenig interessiert an meinem Leben, und streckte den Arm aus, um den herantuckernden 179er anzuhalten.
    Wir setzten uns oben hin. Ich wollte ganz vorne sitzen und er ganz hinten, also saßen wir getrennt voneinander, bis wir an den Charlie-Brown-Kreisverkehr kamen. Dort gab ich mich geschlagen und ging nach hinten zu den Zigarettenkippen und verschmierten Sitzen, die zur Projektionsfläche von Schulkinderfantasien geworden waren. » Andy + Lisa«, » George Fettschwein«, » Mike hat ’nen süßen Pimmel«, überflog ich das Gekrakel, und ich fragte mich, wer George und Mike und Lisa waren und ob Andy sie noch immer mochte.
    Ich stand auf und lehnte mein Gesicht an das einen Spalt weit geöffnete Fenster. Die Luft stand und fühlte sich unbehaglich an. Ich fühlte mich unbehaglich. Mein Bruder kaute wieder einmal an den Fingernägeln. Er hatte während seiner glücklichen Phase eine Weile damit aufgehört, aber jetzt hatte er wieder angefangen. Es war etwas, das er in seinem Alter eigentlich überwunden haben sollte, aber ganz gleich ob es nun aus Nervosität oder zum Trost geschah, es ließ ihn unnötig jung erscheinen. Er hatte Charlie seit einer Woche nicht gesehen. Charlie ging gerade nicht zur Schule, obwohl er nicht krank war. Er könne nicht darüber sprechen, aber später wolle er meinem Bruder alles erzählen. Und jetzt war später, und mein Bruder tat mir leid, auch wenn ich noch nicht wusste, warum.
    Als wir aus dem Bus stiegen, kam ein Lüftchen auf und machte uns hoffnungsfroher, und wir lachten, als wir die von Bäumen gesäumten Straßen entlanggingen, wo die Rasenmäher brummten und die Rasensprenger Wasser auf uns, die Vorübergehenden,

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