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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Bruders brechen gehört. Aber sie hörten nichts als das Geräusch der Wellen und des Vogelgezwitschers in Cornwall, das schon bald ihr und unser künftiges Leben erfüllen sollte. Also blieb es an Nancy und mir hängen, die Stücke aufzusammeln, in die es meinen Bruder zerrissen hatte. Seine in sich zusammengesunkene Moral wieder aufzurichten, sein bleiches, tränenverschmiertes Gesicht unter den Kissen hervorzuziehen und wieder Sinn in eine Welt zu legen, die für ihn keinen Sinn mehr hatte: Er liebte, doch seine Liebe wurde nicht erwidert. Nicht einmal Nancy fand Worte des Trostes und der Erklärung. Das war nun mal Teil des Lebens, aber es tat ihr leid, dass diese Erkenntnis ihn so jung getroffen hatte.
    Als sich die Sommerferien wie eine Höhle vor uns auftaten, besuchten wir sie am Charterhouse Square, und sie sorgte dafür, dass wir beschäftigt blieben, mit Besuchen in Museen und Cafés und Kunstausstellungen. Und allmählich schwand sein fehlendes Interesse an allem außer seinem verwundeten Selbst. Ganz zaghaft trat er wieder hervor, blinzelnd, in den späten Julisonnenschein und beschloss, dem Leben noch eine Chance zu geben.
    » Wann wusstest du es?«, fragte er sie, als wir die Themse entlangspazierten, auf dem Weg zum South Bank Centre und einem alten Schwarz-Weiß-Film.
    » Ich glaube, ich war ein bisschen älter als du. Sechzehn vielleicht? Ich weiß es nicht genau. Ich wusste schon früh, was ich nicht wollte, also wurde die Wahl dann ziemlich leicht.«
    » Aber eigentlich ist es doch nicht leicht, oder?«, fragte er. » Ist doch beschissen. Das Versteckspiel und der ganze Mist.«
    » Dann tu’s nicht«, sagte sie. » Versteck dich nicht.«
    » Manchmal wünschte ich, ich wäre wie alle anderen auch«, sagte er, und Nancy blieb vor ihm stehen und lachte.
    » Nein, das tust du nicht! Du würdest es hassen, so zu sein wie alle anderen. Mach dir nichts vor, Sonnenschein. Schwul zu sein ist deine Rettung, und das weißt du.«
    » Quatsch«, sagte er und versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Er packte einen Kaugummi aus und beäugte den dunkelhaarigen Mann, der an ihm vorbeiging.
    » Das hab ich gesehen«, sagte ich und stupste ihn mit dem Ellbogen an.
    Er beachtete mich nicht.
    » Ich hab gesehen, wie er ihn angeglotzt hat, Nancy. Den Mann da.«
    » Halt die Klappe«, sagte er und ging weiter, die Hände in den Taschen der zu engen Jeans vergraben, die, von denen Mum immer behauptete, sie machten ihn impotent.
    » Hat dir schon mal jemand das Herz gebrochen?«, fragte er ganz lässig.
    » Oh Gott, JA !«, sagte Nancy.
    » Ihr Name war Lilly Moss!«, krähte ich, froh darüber, mich endlich an ihrem Gespräch beteiligen zu können. » Die Geschichte kennt doch jeder, Joe. Sie hat Nancy betrogen und auf Teufel komm raus belogen. Aber damit ist sie nicht durchgekommen, stimmt’s, Nancy?«
    » Nein, ist sie nicht«, sagte Nancy, » aber dafür ist sie mit einem ziemlich teuren Diamantcollier davongekommen, wenn ich mich recht erinnere.«
    » Ich werde mich nie wieder in irgendjemanden verlieben«, verkündete mein Bruder energisch, und Nancy lächelte und legte den Arm um ihn.
    » Nie ist eine ziemlich lange Zeit, Joe. Ich wette, das schaffst du nicht.«
    » Wetten doch. Wie viel?«, meinte er.
    » Zehner«, sagte sie.
    » Gut«, erwiderte er. Die beiden gaben sich die Hand, und Nancy ging mit der absoluten Gewissheit weiter, dass der Zehnpfundschein eines Tages der ihre sein würde.

» Wir ziehen um«, verkündete mein Vater plötzlich am Frühstückstisch. Mein Bruder und ich sahen uns an und aßen dann einfach weiter. Die Hintertür stand offen, und die Augusthitze machte die Bienen ganz wild. Ihr berauschtes Summen füllte dankenswerterweise das Schweigen, das sich in Folge unserer unbarmherzigen Gleichgültigkeit breitgemacht hatte.
    Mein Vater sah enttäuscht aus; er hatte gedacht, seine aufregende Verkündung würde uns mehr Emotionen entlocken, und er fragte sich, ob er seine eigenen Kinder wirklich kannte. Ein Gedanke, der ihn im Laufe der kommenden Jahre noch viele Male beschäftigen würde.
    » Nach Cornwall«, sagte er voll Enthusiasmus, riss dabei die Arme hoch, als habe er soeben ein Tor geschossen, und rief: » Juhu!«
    Meine Mutter verließ ihren Platz am Grill und setzte sich zu uns an den Tisch.
    » Wir wissen, dass das plötzlich kommt«, sagte sie. » Aber als wir über Ostern weg waren, haben wir eine Immobilie gefunden, und da war uns plötzlich klar: Das ist es, was wir wollen.

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