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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Tür dröhnte unter den Fausthieben, und meine Mutter, aus dem Bett gerissen und noch leicht schlaftrunken, kam die Treppe heruntergeeilt, voller Angst, der Überbringer unerträglicher Nachrichten habe wieder einmal den Weg an ihre Tür gefunden.
    » Ja?«, sagte sie in einem Ton, der weder zuvorkommend noch teilnahmslos klang.
    » Sind Sie Mrs Kate Portman?«, fragte der Polizist.
    » Die bin ich«, antwortete meine Mutter.
    » Kennen Sie einen Mr Portman?«, fragte der Polizist.
    » Natürlich tue ich das, er ist mein Ehemann. Was ist mit ihm?«
    » Nichts Schlimmes, aber er scheint ein bisschen durch den Wind zu sein. Könnten Sie bitte mit aufs Polizeirevier kommen und ihn abholen?«
    Und das tat meine Mutter dann auch und fand meinen Vater bleich und zitternd im grellen Licht der Wache, betreut von einem netten Wachtmeister, vor. Er war in eine graue Decke gewickelt und hatte einen Becher Tee in der Hand. Auf der Tasse war das Wappen von West Ham United abgebildet, was meinen Vater irgendwie noch jämmerlicher aussehen ließ, erzählte meine Mutter uns später. Sie nahm ihm den Teebecher ab und stellte ihn auf den Boden.
    » Wo sind deine Schuhe?«, fragte sie ihn.
    » Die haben sie mir weggenommen«, sagte er. » Das gehört hier zum Prozedere. Für den Fall, dass ich mir was antun wollte.«
    » Was denn? Vielleicht dir selbst ein Bein stellen?«, fragte meine Mutter, und beide fingen an zu lachen und wussten, dass alles wieder in Ordnung käme– zumindest für den Moment.
    Als sie vom Parkplatz gingen, blieb meine Mutter stehen, drehte sich zu meinem Vater um und sagte: » Lass es hier, Alfie. Es ist Zeit. Lass sie hier.«
    Ihr Name war Jean Hargreaves.
    *
    Mein Vater hatte damals für eine Anwaltskanzlei gearbeitet und den Auftrag bekommen, einen Mr X, der wegen Kindesmissbrauch angeklagt war, zu verteidigen. Es war einer seiner ersten Fälle, und getrieben durch seine eigene, frischgebackene Vaterschaft und die Verantwortung, die auf seinen unerfahrenen Schultern lastete, übernahm er die Verteidigung von Mr X wie eine Art Kreuzzug, als sei er berufen, den Drachen der Verleumdung zu bekämpfen.
    Mr X war ein bekannter Mann, ein angesehener Mann von so umgänglicher Art, dass es mein Vater für geradezu unsäglich hielt, dass er sich gegen solch abscheuliche Anschuldigungen verteidigen musste. Mr X war vierzig Jahre verheiratet gewesen. Es hatte nicht einmal den Hauch von Gerüchten über Affären oder ehelichen Zwist gegeben, und die Verbindung wurde als der Inbegriff dessen, was anzustreben war, gehandelt. Das Ehepaar hatte zwei Kinder; der Sohn ging zur Army, das Mädchen ins Finanzgeschäft. Er saß im Aufsichtsrat mehrerer Unternehmen, war ein Förderer der Künste und finanzierte einigen unterprivilegierten Jugendlichen das Studium. Aber noch entscheidender war, dass er der Mann war, der mein Vater gerne sein wollte.
    Doch dann, eines Tages, kam eine junge Frau namens Jean Hargreaves in die Polizeiwache von Paddington Green und schüttete nach dreizehn Jahren des Schweigens zum ersten Mal ihr Herz aus. Sie legte ein beschämendes Geheimnis offen, das sie seit Jahren mit sich herumtrug. Als es zum ersten Mal passierte, war sie zehn und schließlich einer Folge abscheulichen Missbrauchs ausgesetzt, während ihre Mutter gewissenhaft das weitläufige Haus von Mr X saubermachte. Die Polizei hätte die Anzeige sofort abgeschmettert, hätte es da nicht den Umstand gegeben, dass Jean Hargreaves den Siegelring exakt beschreiben konnte, den ihr Peiniger am kleinen Finger trug, sogar den winzigen Sprung im Wappen.
    Von dem Augenblick an jedoch, als Jean Hargreaves vor Gericht aussagte, war ihr Leben praktisch vorbei, sagte mein Vater später. Er zerriss ihre Geschichte in der Luft und wandte ihre Unsicherheiten gegen sie, bis sie in sich zusammensackte und sich ihrer Sache rein gar nicht mehr sicher sein konnte, nicht einmal ihres eigenen Namens. Im Handumdrehen entschieden die Geschworen, dass der Angeklagte unschuldig war und damit freizusprechen sei, und Mr X schüttelte meinem Vater kühl die naive Hand.
    Und dann kam der schlimmste Moment. Mein Vater ging mit Mr X den Korridor des Gerichts entlang, als sie plötzlich Jean Hargreaves sahen. Sie saß allein auf einer Bank und wartete auf ihre Freundin, die zehn Minuten zuvor losgegangen war, um ein Taxi zu rufen. Mein Vater versuchte noch, seinen Mandanten zurückzuhalten, aber es war so zwecklos, als ob man versuche, einen kläffenden Jagdhund von einem

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