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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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oder einem unverschlossenen Auto gefunden hatte. Aber erst, als wir zum zweiten Mal durch die Seitengasse gingen, sahen wir zwei Schatten, die auf uns zuwankten. Und als sie in die Nähe des Lichtkegels einer Straßenlaterne kamen, konnten wir erkennen, dass es sich um Mr Harris handelte, der sich über Jennys Mutter hermachte.
    Mrs Penny sah verlegen drein und wischte sich den Mund ab. Verschmierter Lippenstift, der Mund eines Clowns. Ein trauriger, kein lustiger. Jenny Penny schwieg.
    » Ich habe der Frau bloß geholfen«, sagte Mr Harris und stopfte sein Hemd wieder in die Hose. » Der Frau«, hatte er gesagt. Den ganzen Abend lang hatte er sie » liebste Hayley« genannt.
    » Natürlich«, sagte meine Mutter, klang aber nicht überzeugt. » Okay, Mädchen, helft Hayley mal zur Straße zurück, ich komme in einer Minute nach.« Als wir weggingen, Mrs Pennys Gewicht gleichmäßig auf unsere kleinen Körper verteilt, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie meine Mutter Mr Harris wütend mit dem Finger auf die Brust piekte. Ich hörte sie sagen: » Wenn du je, je wieder versuchen solltest, die Situation auszunutzen, wenn sich eine Frau in einem solchen Zustand befindet, dann gnade dir Gott, du arroganter Scheißkerl.«
    Meine Mutter und mein Vater hatten Mrs Penny noch nicht einmal ansatzweise bis nach oben gebracht, als sie sich auch schon mitten in den Flur erbrach. Jenny Penny wandte sich peinlich berührt ab, bis der beruhigende Blick meines Vaters dafür sorgte, dass sie sich weniger verloren fühlte. Aber sie schwieg während der folgenden Putzaktion und befolgte die Anordnungen meiner Mutter wie ein völlig in sie vernarrter Verehrer. Eine Schüssel mit heißem Wasser, ein Handtuch, ein Laken, eine Decke, ein leerer Eimer. Ein Glas Wasser. Danke, Jenny, das machst du wirklich toll. Mein Vater half Mrs Penny aufs Sofa und deckte sie mit einem fliederfarbenen Laken zu. Als sie eingeschlafen war, strich ihr meine Mutter über die Stirn, küsste sie sogar und sah dann das Kind.
    » Ich bleibe heute Nacht hier, Jenny«, sagte meine Mutter. » Geh du mit Elly und Alfie zu uns. Und mach dir keine Sorgen um deine Mum, es geht ihr bald wieder gut. Ich pass auf sie auf. Sie hat nichts falsch gemacht, Jenny. Hatte nur ein bisschen Spaß, das ist alles. Und sie war doch auch ziemlich lustig, oder nicht?«
    Aber Jenny Penny sagte nichts. Sie wusste, die Worte meiner Mutter waren bloß das Gerüst, das eine bröckelnde Mauer aufrecht hielt.
    Unsere langsamen Schritte hallten auf der dunklen Straße wider. Jenny Penny nahm meine Hand.
    » Ich wünschte, meine Mutter wäre wie…«
    » Nicht«, unterbrach ich sie brüsk. Ich wusste, welches Wort als Nächstes kommen würde, und in jener Nacht war es ein Wort, das mein Herz mit Schuldgefühlen durchbohrt hätte.

Rückblickend ist es ziemlich offensichtlich, dass meine Eltern beschlossen hatten wegzuziehen, als sie von ihrem Osterurlaub aus Cornwall zurückkamen. Sie hätten dort ihre zweiten Flitterwochen verbracht, sagte Nancy. Sie müssten die Verbindung zwischeneinander wieder herstellen, sich als Menschen wiederfinden. Und als sie durch die Tür traten, sonnengerötet und salzig, umgab sie eine Energie, die ich noch nie zuvor bemerkt hatte; eine Liebenswürdigkeit, die nicht der Vertrautheit oder der Pflicht geschuldet war. Und als mein Vater uns Platz nehmen ließ und verkündete, er habe beschlossen, seinen Job an den Nagel zu hängen, fühlte ich mich erleichtert. Die Unsicherheit der Erwartung, die während der letzten achtzehn Monate über uns gehangen hatte, war endlich von der Entschlossenheit des Handelns abgelöst worden.
    Mein Vater hielt seine Kündigungsfrist Ende Juni ein und setzte sich dann, alle Verabschiedungen und Feierlichkeiten meidend, am Abend seines letzten Arbeitstages in sein Auto auf dem leeren Parkplatz und weinte bis spät in die Nacht. Die Polizei fand ihn über dem Lenkrad zusammengekauert, mit Augen so rot und verquollen wie zwei Furunkel. Als sie die Fahrertüre öffneten, war alles, was er sagen konnte: » Verzeihen Sie. Verzeihen Sie, bitte.« Und für einen blutjungen Polizisten, der vor drei Wochen erst das Hendon Police College verlassen hatte, musste das ja geradezu nach einem schockierenden Geständnis klingen, und seine Fantasie sprang mit einem Satz mühelos vom Lehrbuch zum Krimi. Er glaubte, mein Vater hätte seine Familie ermordet, und setzte ein ganzes Heer von Einsatzwagen in Bewegung, die alle zu unserem Haus fuhren. Die

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