Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
Vom Netzwerk:
spritzten. Und dann sahen wir ihn: den großen Umzugswagen, der vor dem Haus parkte. Wir gingen langsamer, schoben die Wahrheit auf, und ich fragte meinen Bruder, wie spät es sei, um ihn abzulenken. Aber er ignorierte mich einfach, und ich verstand warum. Die Sonne brannte; eine Nervensäge. So wie ich.
    Wir standen da und sahen zu, wie uns vertraute Gegenstände in den Wagen geladen wurden; der kleine, silberne Fernseher aus Charlies Zimmer, seine Skier, die große, freistehende Kommode, von der er behauptete, dass sie aus Mahagoni sei und aus Frankreich stamme. Mein Bruder griff nach meiner Hand.
    » Vielleicht zieht er ja näher zu uns«, sagte er und rang sich ein Lächeln ab. Ich konnte nichts sagen. Plötzlich kam Charlie aus dem Haus und rannte auf uns zu, so fröhlich wie immer.
    » Wir gehen weg!«, sagte er aufgeregt.
    » Was soll das heißen?«, fragte mein Bruder.
    » Mein Vater und ich ziehen nach Dubai. Ich bin schon an der Schule dort angemeldet«, sagte er und sah mich dabei an statt meinen Bruder.
    Ich sagte nichts.
    » Neuer Auftrag; neues Land. Wir haben keine Wahl.«
    » Du könntest bei uns bleiben«, sagte ich.
    » Wann geht’s los?«, wollte mein Bruder wissen und nahm dafür die Finger aus dem Mund.
    » Morgen«, antwortete Charlie.
    » Das geht aber schnell«, sagte ich, und mein Magen verkrampfte sich.
    » Nicht wirklich. Ich weiß es ja schon seit Wochen.«
    » Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte mein Bruder leise.
    » Kam mir nicht wichtig vor.«
    » Du wirst mir fehlen«, sagte mein Bruder.
    » Ja«, sagte Charlie und wandte sich ab.
    » Dort ist es mal richtig heiß, weißt du«, fügte er hinzu.
    » Hier ist es auch richtig heiß«, meinte mein Bruder.
    » Wir werden sogar Angestellte haben«, sagte Charlie.
    » Wozu denn?«, fragte ich.
    » Ich könnte doch mitkommen«, sagte mein Bruder, und Charlie brach in Gelächter aus.
    Zwei Männer schleppten einen großen Ledersessel an uns vorbei und setzten ihn geräuschvoll auf der Ladefläche des Umzugswagens ab, neben einem großen, silbernen Übertopf.
    » Warum lachst du über mich?«
    » Er könnte sehr wohl mit dir mitkommen«, sagte ich und griff nach der Hand meines Bruders, » wenn du das wolltest. Es bräuchte nur einen Anruf.«
    » Ich werde meinen Vater fragen, vielleicht kannst du uns ja mal besuchen kommen. Wie wäre es damit?«, schlug Charlie vor und verschränkte die Arme vor der Brust.
    » Leck mich«, sagte mein Bruder. » Lieber sterb ich.« Und er wandte sich rasch zum Gehen.
    Wir gingen mit großen Schritten die Straße entlang, das Tempo zu schnell für die flüsternde Hitze, und ich konnte nicht feststellen, ob es Schweiß oder etwas anderes war, das meinem Bruder übers Gesicht lief. Aber schnell hatte er mich weit hinter sich gelassen, und meine müden Beine verweigerten den Wettlauf. Stattdessen wurde ich langsamer und setzte mich schließlich auf eine nasse Mauer, die stoßweise von einem zuckenden Gartenschlauch besprengt wurde. Ich hatte mit dem Klopfen am Fenster gerechnet, mit der wütend gestikulierenden Hand, die mich von der privaten Mauer zu verscheuchen suchte, aber ich reagierte nicht.
    Ich hörte seine Schritte auf mich zustürmen, doch ich blickte nicht einmal auf, weil es mich gar nicht kümmerte, weil ich ihn hasste, ihn und seine Fahnenflucht. Er setzte sich neben mich.
    » Was willst du?«, fragte ich.
    » Weiß nicht«, antwortete Charlie.
    » Dann geh weg«, sagte ich. » Du bist ein Blödmann, ein Blödmann, ein Blödmann, ein Blödmann.«
    » Elly, komm schon.«
    » Blödmann.«
    » Ich wollte dir bloß richtig Tschüss sagen, das ist alles«, meinte er, und ich drehte mich zu ihm um und boxte ihn fest gegen den Arm. » Tschüss«, sagte ich.
    » Au, scheiße, Elly! Wofür war das denn?«, fragte er und rieb sich die Schulter.
    » Wenn du das nicht weißt, dann bist du noch dümmer, als du aussiehst«, ich boxte ihn noch einmal fest an dieselbe Stelle.
    » Warum machst du das?«
    » Weil du das nicht mit ihm hättest machen dürfen.«
    » Ich musste vorsichtig sein«, sagte er. » Mein Vater, weißt du. Er hat mich im Auge, er ist echt schräg drauf. Sag ihm das bitte. Sag ihm… was Nettes.«
    » Kannst mich mal, sag’s ihm doch selber«, schnauzte ich und rannte den Hügel hinauf, plötzlich neu belebt, plötzlich voller Energie; plötzlich wie ausgewechselt.
    Hätten meine Eltern auch nur für einen Moment innegehalten und leise verharrt, dann hätten sie das Herz meines

Weitere Kostenlose Bücher