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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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goss mir ein großes Glas Wasser ein. Dann ging ich an den Schrank, um mir ein Stück Madeirakuchen zu stibitzen. Und als ich mein Glas auf das Abtropfbrett stellen wollte, warf ich einen Blick durch das Fenster hinaus und sah den schemenhaften Umriss meines Bruders, der in den Wald lief, gefolgt von einem hageren Schatten an der Baumgrenze. Es konnte nur mein Bruder sein, denn er trug ganz offensichtlich noch immer seine Stöckelschuhe und die Perücke, und in beiden schimmerte das Mondlicht. Ich stopfte mir den Rest des Kuchens in den Mund, schlüpfte in den Pulli und die Stiefel meiner Mutter und schlich mich hinaus in die kalte, frische Januarluft.
    Ich hob einen Stock auf und rannte so schnell ich konnte zum Waldrand. Ich geriet zweimal ins Straucheln, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bis ich wieder dem Geräusch der knackenden Zweige vor mir folgen konnte. Ich hatte keine Angst, fühlte mich mutig in meiner Rolle als Beschützer und rannte immer weiter, den niedrigen Ästen der nackten Sträucher ausweichend. Links von mir, hinter einer Gruppe starker Eichen, hörte ich Gekicher, und als ich zu ihren breiten Stämmen kam, kauerte ich mich nieder und schob vorsichtig die Blätter eines kränkelnden Büschels Farn auseinander. Und musste mich sofort übergeben.
    Ich saß auf meinem Bett und schaute rüber zu dem Womble-Stofftier, das auf meiner Frisierkommode stand. Es stammte noch aus meinem anderen Leben, ein Geschenk von Jenny Penny zu meinem siebten Geburtstag. Sie hatte es mir am Ende meiner Party gegeben, als schon alle Gäste weg waren und auch der Kuchen, und hatte gesagt: » Das ist das beste Geschenk, das du je bekommen hast. Und ich habe es dir geschenkt.« Als ich den Womble nun betrachtete, dachte ich weder an Jenny noch an die Verpackung, die sie selbst gemacht hatte, oder an das Gedicht, das an der Schleife befestigt gewesen war und den Titel » Beste Freunde« getragen hatte. Nein, jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an das in der Dunkelheit des Waldes verschwommene Bild meines Bruders auf allen vieren. Und die unverkennbare Gestalt einer Kinderspielzeugfigur dahinter, die mit tiefer, nordischer Stimme stöhnte: »Gutes Neues Jahr, Joe. Gutes Neues Jahr, uh, uh, uh.«
    Ich stand auf und steckte das Stofftier in eine Plastiktüte, die noch nach Zwiebeln roch, und stopfte sie ganz unten in den Schrank zu meinen alten Schuhen. In der Woche darauf brachte ich es zu einem Wohltätigkeitsladen, wo es im Schaufenster zwischen einer Videokassette von Der Weiße Hai und einem silbernen Toastständer Platz fand. Dort stand es dann wochenlang. Als Strafe sozusagen.
    Ich erzählte meinem Bruder nicht, was ich in jener Nacht beobachtet hatte; erst Jahre später, als wir als Erwachsene mit erwachsenen Leben am Pier saßen, sprach ich ihn darauf an. Doch da konnte er sich schon nicht mehr an diese Nacht erinnern, wie an so viele Nächte, und als ich ihm davon erzählte, schlug er lachend die Hände vors Gesicht und sagte nur: » Was ist bitte ein scheiß Womble?«
    Und ich hörte nie von Jenny Penny, dass sie in Sicherheit war. Ich bekam nie den Anruf oder den Brief, in dem stand, wo sie war, oder warum sie gehen musste oder was sie nun machte. Kurz nachdem sie verschwunden war, rief ich ihre alte Nummer an, doch es nahm bloß ein Mann ab, der mich anbrüllte, also legte ich verängstigt auf und fragte mich, was er wohl getan haben könnte.
    Ein andermal, etwa ein Jahr später, saß ich reglos auf meinem Bett und dachte an sie. Ich versuchte, die telepathische Brücke zwischen uns wiederherzustellen, die mit ihrem Verschwinden eingestürzt war. Als der Raum um mich herum ruhig wurde und die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war, erschienen Zahlen vor meinem inneren Auge, in bewusster und bedeutsamer Reihenfolge, und die Zahlen wiederholten sich immer wieder. Ich war mir sicher, dass sie es war. Meine Hände zitterten, als ich den Telefonhörer abnahm. Ich wählte die Zahlen und wartete auf ihre Stimme. Doch sie kam nicht. Stattdessen hörte ich eine Frau sagen: » Goldener Lotus. Was möchten Sie bestellen, bitte?« Es war die Nummer eines Chinarestaurants in Liverpool; ein Ort, der Jahre später noch einmal von Bedeutung sein würde.
    Ich musste ganz einfach akzeptieren, dass sie vom neuen Jahr verschlungen worden war, und ich musste lernen, sie loszulassen. Aber immer, wenn sich ihr Verschwinden jährte, hörte ich ihr gehetztes Flüstern: » Ich lass es dich wissen,

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