Als Gott ein Kaninchen war
Für wen sonst? Es ist ein Ring.«
» Wow«, sagte ich.
» Er hat mal meiner Mutter gehört, aber jetzt bekomme ich ihn nicht mehr an den Finger, weil ich zu dick geworden bin. Dachte mir, dann könnte ich ihn genausogut dir schenken«, meinte sie, ohne mich anzusehen.
(Übersetzung: Ich liebe dich und möchte dir etwas geben, was mir sehr viel bedeutet. )
Ich machte die Schachtel auf und erblickte einen mit Diamanten und Saphiren besetzten Ring, in dem sich das Licht der Lampe über uns brach und mir ins Gesicht strahlte wie Rampenlicht.
» Aber der ist doch viel zu wertvoll, Ginger«, japste ich.
» Besser du hast jetzt Freude dran, als wenn ich tot bin«, meinte sie trocken.
» Oh, das werde ich, er ist so schön, danke!«
» Ist schon gut«, sagte sie, und ich spürte, wie ihr Gesicht ganz warm wurde, als ich sie zum Dank küsste und ihr sagte, dass sie einer meiner liebsten Menschen auf der Welt sei. Denn das war sie.
Es kam selten vor, dass Nancy Weihnachten nicht mit uns verbrachte, aber wir verziehen es ihr, denn sie war Skifahren in Gstaad und gönnte ihrem Herzen Erholung durch Bergluft und eine Frau namens Juliette. Nach dem Mittagessen riefen wir sie an und bedankten uns für unsere Geschenke. Sie klang sehr glücklich (betrunken), und Dad flüsterte uns über den Tisch hinweg zu, dass Mum wahrscheinlich ein bisschen eifersüchtig sei.
» Also was bitte hat sie, was ich nicht habe?«, hörten wir meine Mutter zu ihr sagen.
» Eine Freundin«, war Nancys Antwort.
Ich überließ sie ihrem Brandy, ihren After Eights und den Geschichten von vergangenen Weihnachtsfesten und schlich mich in den Flur hinaus, wo sich die Steinplatten an meinen bloßen Füßen kalt und unerbittlich anfühlten. Dies war der Moment, auf den ich die ganze Zeit gewartet hatte, der stille Moment, wenn Jenny Penny mir von ihrem Tag erzählen würde.
Jedes Jahr rief ich sie zur selben Zeit an, immer nach dem Mittagessen, denn sie stand an Weihnachten nie früh auf– vermutlich war sie da das einzige Kind auf der Welt–, denn sie zog es vor, im Bett zu bleiben und nachzudenken.
» Nachdenken über was denn?«, wollte ich wissen.
» Über die Welt. Über das Leben«, erklärte sie.
» Über Geschenke?«
» Nein«, sagte sie. » Ich weiß ja, was ich jedes Jahr bekomme. Ein Bastelset, jedes Mal größer und besser als das Jahr zuvor (das war es nie), und etwas Selbstgestricktes, an dem meine Mutter immer schon seit Juli arbeitet.«
Jenny Penny hatte das erste Weihnachten nach dem Umzug bei uns verbracht, dieses erste, legendäre Weihnachtsfest, von dem wir Jahre später noch sprachen, als sie zusammen mit meinem Bruder mit dem Zug hergefahren war. Mit einer kleinen Tasche, in der sich nur eine Jeans zum Wechseln und eine Garnitur Unterwäsche befand, und mit der langgehegten Sehnsucht nach einem Tapetenwechsel. Mein Bruder erzählte uns, wie sie wie gebannt am Wagonfenster stand, als der Zug Exeter verlassen hatte und dicht an der Küste entlanggefahren war.
So nah war sie dem Meer noch nie gekommen, und die Wellen schlugen ihr fast gegen die Stirn und gegen das strahlende Lächeln ihres unbeweglichen Spiegelbildes, bis die glitzernde Küste wieder hinter Klippen und Bäumen verschwand.
Als sie bei uns angekommen war, rannte sie mit mir über die Wiese und fiel in den Fluss. Und ihr entzücktes Kreischen beschämte unsere privilegierten Herzen, denn was wir schon lange für eine Art Geburtsrecht hielten, kam uns von einer Sekunde auf die andere wie unfassbarer Reichtum vor. Selbst als man sie aus dem eisigen Wasser zog, mit blauen Lippen und klappernden Zähnen, war ihre Freude ansteckend, und wir wussten alle, dass wir uns an diese Zeit noch lange erinnern würden.
Am Heiligen Abend führten wir sie vorsichtig ins dunkle Wohnzimmer, damit sie eigenhändig die Weihnachtsbeleuchtung anmachen konnte. Und als sie es tat, zitterte sie vor überwältigter Aufregung am ganzen Körper. Es gab Lichter in allen Formen, Größen und Farben, und in der Dunkelheit verwandelten sie eine Fantasiewelt in glänzende Realität.
» In so einem Raum werden Träume wahr«, sagte sie.
Später an jenem Abend, als wir schon im Bett lagen, verriet sie mir, was sie sich wünschte– dass sie eines Tages bei uns leben dürfe–, und in der Dunkelheit lauschten wir erwartungsvoll auf das Geräusch der Schlittenglöckchen. Und obwohl wir wahrscheinlich schon zu alt waren, um noch wirklich daran zu glauben, hörten wir sie draußen, und ich sah
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