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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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wenn wir angekommen sind. Tschüss, Elly.«
    Sie fehlte mir. Sie würde mir immer fehlen. Ich fragte mich oft, wie es wohl gewesen wäre, wenn wir die folgenden Jahre zusammen hätten erleben können. Was wäre anders verlaufen? Hätte ich ändern können, was ihr passiert ist? Wir waren die Wächter einer geheimen Welt, einer einsamen Welt ohne die jeweils andere. Jahrelang stolperte ich ohne sie herum.

Zweiter Teil
    1995

Brixton war wütend, Brixton brannte. Das war die Geschichte, von der ich sechs Tage nach meinem siebenundzwanzigsten Geburtstag berichten sollte. Aber ich bekam es einfach nicht hin, etwas, das ich mir bis heute nicht wirklich erklären kann. Ich hatte schon vorher solche Momente gehabt– der plötzliche Verlust von Selbstbewusstsein, die Gleichgültigkeit. Noch nie jedoch hatte mich so eine Panik ergriffen; die mich mit Grauen packte und mir das Gefühl gab, dass sowohl ich als auch die Welt völlig daneben waren. Ich erzählte niemandem davon, stellte stattdessen meine Telefone ab und verkroch mich bei Nancy. Ich verlor meinen Job. Nicht zum ersten Mal. Erfand alle möglichen Ausreden. Nicht zum ersten Mal. Und in diese zerbrochene Welt trudelte die Postkarte. Als hätte sie es gewusst. Als hätte sie die ganze Zeit zugehört und abgewartet, wie sie es immer getan hatte. Meine Rettungsleine.
    Ich öffnete die Balkontüren und ließ den trüben Dezembermorgen herein, setzte mich und blickte über den Charterhouse Square, hörte das Geräusch von kreischenden Kindern, die Fangen spielen. Ich beobachtete einen Jungen, der hinter eine Bank flitzte und sich auf einen Haufen Mäntel fallen ließ, der sich als ein Haufen Freunde entpuppte. Ich rührte meinen Kaffee um und nippte vorsichtig daran. Es war ein kalter Tag, und es würde noch kälter werden. Der bedeckte Himmel hatte einen Gelbstich– noch vor Jahresende würde es schneien. Ich zog die Decke, die ich mit nach draußen genommen hatte, enger um mich. Ich sah, wie sich ein kleines Mädchen hinter einem Baum versteckte; es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie wieder auftauchte.
    Fünfzehn Jahre waren seit jenem merkwürdigen Weihnachten vergangen, als die Vergangenheit unserer müde wurde und ihre zerbrechlichen Türen schloss. »Du wirst Dich nicht an mich erinnern«, schrieb sie, aber natürlich erinnerte ich mich, sobald ich auf dem Kuvert die krakelige Schrift sah. Schwarz und unverändert und verschmiert, und meine Freude verflog auch nicht, als ich die Worte »Du wirst Dich nicht an mich erinnern« las. Die Karte hatte sie, wie früher auch schon immer, selbst gemacht.
    Sie bastelte einfach gern. Immer wenn sie mit Kleber oder Glitter im Haar in die Schule kam, wussten alle, dass sie wieder irgendwas gebastelt hatte. Eine Karte für einen Geburtstag oder zu Weihnachten, und jeder hoffte insgeheim, er wäre der glückliche Empfänger dieser belächelten, kreativen Bemühungen. Denn sie waren gut, und sie sprachen eine deutliche Sprache, sagten: » Du bist etwas Besonderes. Ich habe dich ausgesucht.«
    Aber es war immer nur ich, die so eine Karte bekam.
    Es war ein einfaches Stück blaues Papier, in der Mitte zusammengefaltet, mit vereinzelten Blumen und Weinreben vorne drauf, mit Bergen und lächelnden Mündern und ausgeschnittenen Buchstaben wie bei einem Erpresserbrief. Aber stattdessen stand darin: »Happy Birthday«. Und dort zwischen den Buchstaben sah ich sie wieder, mit ihren neuen Schuhen, wie sie auf dem Bürgersteig zurücktrat und winkte, als sie neun war, als ich neun war, und wir uns schworen, dass wir immer in Verbindung bleiben würden.
    Ich sah mir noch einmal das Kuvert an. Meine Eltern hatten es an Nancys Adresse am Charterhouse Square weiterleiten lassen. Aber ursprünglich war es im Gefängnis Ihrer Majestät abgeschickt worden.

Die Möwen waren laut an diesem Morgen und holten mich unsanft aus meinem friedlichen Bett. Ich nahm das Glas Wasser, das neben mir stand, und trank durch die winzigen Staubkörnchen hindurch, die sich über Nacht auf der Oberfläche abgesetzt hatten. Im Haus war es still und in meinem Zimmer drückend heiß von der Heizung. Ich stand auf, ging zum Fenster und öffnete es, um den Frühling hereinzulassen. Es war noch kalt, und weit und breit war kein Windhauch zu spüren. Der wolkenlose Himmel reichte bis weit über die Bäume hinaus wie der Morgen selbst, in der Schwebe, reglos, wartend.
    Ich sah Arthur dabei zu, wie er sich unten langsam in den Kopfstand begab, seine rote Satinshorts (die

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