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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Ihren kleinen Hintern«, und er stand auf und wollte gehen.
    » Bitte, Arthur«, sagte meine Mutter und führte ihn wieder zu seinem Stuhl.
    Der Spezialist ging zurück an seinen Schreibtisch. Er sah in seine Unterlagen, dann aus dem Fenster; erlaubte seinen Gedanken, zu ähnlichen Fällen zurückzuwandern und zu seltenen Nebenwirkungen, die in der Packungsbeilage unter Wechselwirkungen aufgelistet waren statt unter »Gegenanzeigen«. Dann sah er Arthur wieder an und sagte: » Nehmen Sie Medikamente gegen erektile Dysfunktion?« In dem Moment stand meine Mutter, die die Antwort bereits zu kennen schien, auf und sagte » Deine Sache, Alfie«, verließ den Raum und überließ es meinem Vater, sich mit den Konsequenzen der sexuellen Praktiken von Achtzigjährigen zu befassen.
    Die Antwort lautete offenbar ja; ein ganzes Jahr schon. Er war natürlich einer der Ersten, der das Medikament nahm. Er hatte seiner Zulassung herbeigefiebert wie ein kleines Kind Weihnachten. Der Spezialist meinte, da bestehe ein Zusammenhang; die » sonstigen Wechselwirkungen«, von denen er schon gehört hatte, für die es bloß noch keinen ausreichenden Beweis gab. Also hieß es für Arthur nun, sich von den Pillen zu verabschieden und geduldig auf die Rückkehr seines Sehvermögens zu hoffen.
    Am nächsten Tag kamen sie von den Untersuchungen zurück, müde, aber erleichtert. Ich erwartete sie in der Küche mit Tassen voll Scotch statt Tee, denn es war später Nachmittag, und da half nur Scotch.
    » Es tut mir leid, Arthur«, sagte ich.
    » Mach dir mal keine Sorgen.«
    » Es ist nicht unbedingt irreparabel«, sagte meine Mutter tröstend. » Der Spezialist meinte, dein Sehvermögen kann jederzeit zurückkehren. Sie wissen ja noch so wenig darüber.«
    » Aber ich muss damit rechnen, dass es nicht wiederkommt«, sagte er, griff nach seiner Tasse Scotch und erwischte stattdessen den Salzstreuer. » Ich hab einfach gern eine Erektion. Ich hab zwar nicht mehr viel damit angefangen, aber es ist ein Trost für mich. Ein bisschen so wie ein gutes Buch. Es geht mir eigentlich bloß um die gespannte Erwartung. Ich muss gar nicht zum Ende kommen.«
    » Ich weiß genau, was du meinst, Arthur«, sagte mein Vater, bevor ihn ein vernichtender Blick meiner Mutter zum Schweigen brachte. » Du bist eben kein Mann«, schickte er mutig an sie gewandt hinterher. » Du kannst das gar nicht verstehen«, und er beugte sich über den Tisch und legte seine Hand solidarisch auf Arthurs Arm.
    Ich führte Arthur zurück zu seinem Häuschen. Drinnen war es warm und roch nach dem Kaffee vom Tag zuvor. Ich half ihm in seinen Lieblingssessel, den wir vor dem kleinen Kamin platziert hatten, jetzt, da der Herbst bei uns Einzug hielt.
    » Wieder ein neues Kapitel, Elly«, sagte er und seufzte tief. Und es wurde wahrlich ein neues Kapitel aufgeschlagen; ein Kapitel, in dem ich zu seinen Augen wurde.
    Ich hatte jahrelange Übung aus Kinderzeiten, als er mich zum Fluss hinunterführte oder in den Wald, um mir die jahreszeitlichen Veränderungen zu zeigen und die Gerüche, die jede mit sich brachte. Ich berichtete ihm also vom fortschreitenden Zug der Fischreiher und beschrieb ihm ihr Verhalten, weiß und mürrisch, drüben in den Buscheichen. Wir sammelten Pilze im Wald, und er atmete zum ersten Mal wirklich ihren erdigen Geruch ein und fühlte ihre schwammartige Beschaffenheit zwischen seinen Fingern. Und wir angelten, schweigsam zuerst, im Fluss, bis er beinahe einen Fisch an seinem Haken spürte und er mit der Angelschnur in seiner Hand spielte, wie sanft klimpernde Finger auf einer Gitarrensaite.
    Und es waren auch meine Augen, die ihn an jenem kalten Dezemberabend nervös zu seiner Buchpräsentation führten, während ein scharfer Wind durch Smithfield fegte und auch noch die letzten Nachzügler in die wärmende Geborgenheit einer Bar jagten. Es waren meine Augen, die ihn durch den langen, weißen Eingang der ehemaligen Selcherei führten, hinein in die hohe, minimalistische Sphäre des Restaurants, in dem alle schon auf ihn warteten. Und in dem der Griff seiner Hände an meinem Arm fester wurde, als das Geräusch von Stimmen und Widerhall und Bewegungen über seine Ohren hereinbrach und in ein Crescendo der Orientierungslosigkeit mündete. Ich spürte die Angst in seinem Körper pulsieren, bis meine Mutter an ihn herantrat und ihm zuflüsterte: » Alle sagen so wundervolle Sachen, Arthur. Du bist jetzt so was wie ein Star.« Und da entspannte sich sein Atem und auch seine

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